Geheime Macht
oder bei dem Versuch sterben«.
»Dem muss ich beipflichten«, sagte Roman. »Dies ist ein Gespräch unter vier Augen.«
Unter zwei Idioten. »Na gut«, sagte ich. »Schlagt euch gegenseitig die Nasen blutig.«
Raphael konzentrierte sich auf Roman, mit der unbeirrbaren Konzentration eines Raubtiers, das seine Beute erspäht hatte. »Jetzt. Sofort. Gehen wir.«
Roman grinste. »Aber klar doch.«
Raphael streckte sich und rollte den Kopf von links nach rechts.
Roman stand auf, nahm seinen Stab und ließ ihn wie ein kampflustiger Shaolin-Mönch rotieren. Raphael straffte die Schultern.
Männer! Mehr konnte man dazu nicht sagen.
Roman beugte sich vor. Wind wirbelte um seine Füße. Der schwarze Wolchw schoss vor, als hätten seine Stiefel Flügel. Raphael trat ihm aus dem Weg, ließ Roman vorbeisausen, fuhr herum, sprang empor und verpasste Roman einen Tritt zwischen die Schulterblätter.
Der Zauberer schlug gegen die Wand, aber er traf sie gar nicht, weil ein unsichtbares Luftkissen den Aufprall stoppte. Er fiel auf die Füße und drehte sich um. »Hmm.«
Raphaels Gesicht zeigte einen erschreckend grimmigen Ausdruck.
Romans Lippen bewegten sich. Ein Kokon aus schwarzen Fäden schob sich aus dem Boden und wickelte sich um ihn, jedoch ohne ihn richtig zu berühren.
Raphael stürmte mit schockierender Schnelligkeit los.
Die schwarzen Fäden zuckten und schlangen sich um Raphaels Handgelenk. Roman beugte sich zurück und verpasste Raphael einen kräftigen Sidekick gegen die Hüfte. Es klang, als würde ein Vorschlaghammer auf einen Bolzen treffen. Ich hatte so etwas schon einmal gesehen. Es war ein Sambo-Fußtritt, eine Verteidigungstechnik eines russischen Kampfsports. Autsch.
Raphael packte die schwarzen Fäden und zog daran. Roman strengte sich an und hielt dagegen.
Ein kleiner Junge kam durch den Torbogen gerannt und hielt auf die beiden Männer zu. Ich sprang von der Bank, lief zu ihm und fing ihn ab.
»Hallo!«, sagte er.
Ich hob ihn empor. Mein noch einmal gebrochener Arm protestierte ein wenig, und ich verlagerte sein Körpergewicht auf die andere Seite. »Hallo.«
»Sie kämpfen!«, sagte der Junge zu mir und zeigte auf die beiden Männer.
»Ja, das tun sie. Wo sind deine Eltern?«
Ein Paar kam durch den Bogen, ein großer Mann und eine dunkelhaarige Frau Ende dreißig, gefolgt von einem jugendlichen Mädchen.
»Dylan!« Die Frau griff nach dem Jungen. »Es tut mir sehr leid. Wir wollten nur dem Alpha unseren Respekt erweisen. Man hat uns gesagt, dass er hier ist. Wir wollten nicht stören. Wir versuchen gerade, in den Bouda-Clan aufgenommen zu werden …«
Ich blickte in ihr Gesicht, und als ich sie wiedererkannte, war es wie ein Schlag in die Magengrube.
Michelle.
Michelle Carver, die mir einen Nagel durch die Hand getrieben hatte, als ich fünf gewesen war, weil sie es witzig fand, mich schreien zu hören. Michelle Carver, die Ziegelsteine auf mich geworfen hatte, nachdem Candy mir die Beine gebrochen hatte. Ich konnte nur noch kriechen, und Michelle jagte mich und warf Steine auf meinen Kopf. Michelle, die jubelte, während die Alpha meine Mutter zu einer blutigen Masse zusammenschlug. Michelle, die »Schlag sie noch einmal, Candy!« gerufen hatte.
Ich hatte alle bis auf eine Person getötet. Alle bis auf sie. Sie war verschwunden, ein paar Jahre bevor ich zurückkehrte und diesen sadistischen Bouda-Clan von der Oberfläche dieses Planeten radierte. Ich hatte versucht, sie zu finden, aber sie hatte ihre Spuren sehr gut verwischt.
Raphael ließ die Fäden los. »Andrea?«
Ich hielt Michelle Carvers Kind in meinen Händen.
Ich ließ den Jungen los. Er glitt zu Boden.
»Andrea?« Sämtliches Blut wich aus Michelles Gesicht. »Andrea Nash?«
Sie wich vor mir zurück.
Raphael kam auf mich zu.
»Wisst ihr, was sie ist?« Ein hysterischer Unterton vibrierte in Michelles Stimme. »Sie ist ein Tierabkömmling!«
Plötzlich wurde die Welt ganz einfach. Ich bewegte mich. Ihr Partner versuchte, mir in den Weg zu treten. Ich schlug ihn mit der Rückhand, und er flog zur Seite. Ich packte Michelle an der Kehle und rammte sie gegen die Wand. Mein Arm hatte Fell, meine Hände hatten Krallen, und Michelles Blut, das unter der Haut durch ihre Drosselvene pulsierte, kitzelte an meinen Fingern.
»Sag mir noch einmal, was ich bin.« Ich schlug ihren Hinterkopf gegen die Ziegelmauer. »Sag es mir.«
Michelle krächzte in meinem Griff. Sie machte keine Anstalten, sich zu verwandeln. Sie hatte keine
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