Geheime Macht

dieser Zone herauszubringen ist ein Verbrechen. Das müsstet ihr eigentlich wissen.«
    Kyle blieb liegen, bis ich ihn am Kragen packte und hochzog. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. »Ich werde diese Frage nur ein einziges Mal stellen. Was war im Tresorraum unter dem Blue Heron?«
    »Was für ein Tresorraum?«
    »Antworte ihr«, sagte Felipe. »Du sagst ihr jetzt alles, was sie wissen will.«
    »Ich weiß überhaupt nicht, wovon diese Hyäne spricht.«
    »Wenn Sie mir nicht antworten, werde ich Sie töten.« Ich schüttelte ihn, sodass meine Klauen sein Hemd mit dem Blut des Ungeheuers besudelten. »Was war in der Kammer?«
    »Ich weiß es nicht!«, kreischte er. »Ich weiß überhaupt nichts von irgendeinem Tresorraum! Ich schwöre es!«
    »Haben Sie irgendetwas mit den Morden auf der Grabungsstelle am Blue Heron zu tun? Antworten Sie mir!«
    Seine Pupillen wurden riesengroß, während er in meinen Händen hing, völlig schlaff und von Furcht gelähmt. Er log nicht. Menschen im Zustand absoluter Panik erstarren oder ergreifen die Flucht. Mutter Natur schaltet ihre geistigen Fähigkeiten ab, damit ihre Lieblingskinder sich nicht zu Tode denken. Kyle hatte viel zu große Angst, um eine Lüge formulieren zu können. Er hatte wirklich keine Ahnung, wovon ich sprach.
    Ich ließ ihn fallen und wandte mich seinen Leuten zu. »Er gehört euch. Ihr müsst von hier verschwinden. Ich werde diese Grabungsstelle dem ersten Polizisten melden, den ich sehe.«
    Ich sammelte meinen Bogen und den Köcher ein und entfernte mich. Ascanio sprang von der Bestie und folgte mir. Seine Stimme war ein tiefes Knurren, das von seinen Zähnen geschreddert wurde. »Dasch. War. Fantaschtisch.«
    »Das war eine Tragödie.« Menschen hatten eine höhere Priorität als Tiere. Das wusste ich, aber wenn man sich in ein Tier verwandelte, sah man das aus einer etwas anderen Perspektive.
    »Ja. Aber fantaschtisch.«
    Er war ein Junge. Was wusste er schon?
    »Alscho haben wir nichtsch Neuesch herauschgefunden.«
    »Das stimmt nicht. Wir haben festgestellt, dass Kyle Bell nichts mit den Morden zu tun hat. Wir können ihn von der Liste der Tatverdächtigen streichen. Bist du hungrig?«
    »Schehr.«
    »Gut. Dann werden wir mal schauen, wo wir etwas zu essen finden.«

Kapitel 5
    Das Beste an Big Papaw’s Cookout war die Pökellake. Big Papaw hütete dieses Geheimnis wie eine biologische Waffe, aber es gab nur wenig, was man vor den Geschmacksnerven eines Gestaltwandlers verbergen konnte. Diese Lake bestand aus Root Beer, Paprika, Knoblauch, Pfeffer und Salz, und nachdem die Schweinerippchen mindestens einen Tag lang darin gelegen hatten, warf Papaw sie mit ein paar Hickoryholzspänen auf den Grill. Ich konnte es schon aus einer Meile Entfernung riechen, und wenn der Wind günstig stand, sogar aus zwei. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
    Das Restaurant befand sich in einer aufgegebenen alten Tankstelle, hinter der die Räucheröfen standen. Ich stellte den Jeep auf dem Parkplatz ab. Da meine Tierfüße kleiner als die riesigen Tatzen von Ascanios Kriegergestalt waren, hatte ich fahren müssen. Dann traten wir ein.
    Colleen, die älteste Tochter von Big Papaw, stand hinter dem Tresen. Sie warf mir einen bösen Blick zu und hielt eine Hand unter dem Tresen. Ich beschloss, es ihr nicht zum Vorwurf zu machen. Wenn zwei pelzige, blutbesudelte Bestien einen Laden betraten, wurde jeder Ladenbesitzer unruhig.
    Ich kramte in meinen Hosentaschen und zog zwei Zwanziger hervor. »Hallo, Colleen. Wir brauchen so viele Rippchen, wie wir dafür bekommen.«
    Colleen zog die Augenbrauen hoch. »Kenne ich euch?«
    »Ich bin’s, Andrea. Du kannst jetzt aufhören, die Schrotflinte zu streicheln. Wir sind keine Gefahr, außer für eure Schweinerippchen.«
    Colleen blinzelte. »Andy? Ich wusste gar nicht, dass du eine Gestaltwandlerin bist.«
    Da war sie nicht die Einzige. »Überraschung!«
    »Wir schind harmlosch«, versicherte Ascanio ihr, lächelte, zwinkerte und zeigte seine riesigen Zähne.
    Colleen zuckte zusammen, nahm mein Geld vom Tresen und ging nach hinten. Dann kehrte sie mit einer Metallpfanne zurück, in der drei riesengroße Rippchenstücke lagen.
    Ascanio griff nach der Pfanne.
    »Danke«, sagte ich. »Wir werden auf dem Parkplatz essen und die Pfanne zurückbringen, wenn wir fertig sind. Wir wollen eure Stammgäste nicht beunruhigen.«
    »Verbindlichsten Dank.«
    Wir gingen auf den Parkplatz und setzten uns auf die niedrige