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Geheime Macht

Geheime Macht

Titel: Geheime Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Gesicht. Von da an wurde es immer schlimmer.«
    Ascanio starrte mich an. Er schien die Rippchen, die er in den Händen hielt, völlig vergessen zu haben.
    »Soweit wir herausfinden konnten, war mein Vater ein exotisches Haustier. Das Rudel hatte Gerüchte über einen Drogendealer gehört, der auf seinem Grundstück viele große Raubtiere gehalten hat. Irgendwann machte die Polizei dort eine Razzia, und drei Tage später tauchte mein Vater aus dem Gebüsch auf. Lyc-V stiehlt Teile der DNS ihres Wirts, und meistens findet der Transfer vom Tier zum Menschen statt. Damit mein Vater existieren konnte, musste das Virus einen Menschen infiziert haben, um dann von diesem Menschen wieder auf meinen Vater überzuspringen. Das passiert so gut wie nie, weil Menschen nicht in der Wildnis herumrennen und Tiere beißen.«
    Selbst wenn Gestaltwandler in Tiergestalt ihren natürlichen Entsprechungen begegneten, machten die meisten wilden Tiere einen großen Bogen um unseresgleichen. Wenn ein hundert Pfund schwerer Wolf einem zweihundertfünfzig Pfund schweren Werwolf gegenübersteht, ergreift er ziemlich schnell die Flucht.
    »Es konnte nie geklärt werden, wie mein Vater es geschafft hat, sich infizieren zu lassen. Er hatte nicht genug Grips, um zu erklären, was mit ihm geschehen war. Clarissa fand, dass mein Vater unglaublich witzig war. Sie legten ihm ein Halsband an und führten ihn an der Leine herum, während er in menschlicher Gestalt war. Er konnte nicht richtig sprechen, außer ein paar Worten wie ›nein‹ und ›Hunger‹. Er war geistig unterentwickelt. Clarissa fand es eine umwerfend komische Idee, ihn meine Mutter vergewaltigen zu lassen. Er wusste gar nicht, was er tat. Er wusste nur, dass man ihm ein Weibchen zur Verfügung stellte, also paarte er sich. Meine Mutter war noch keine sechzehn Jahre alt. Ich wurde neun Monate später geboren und fing schon an, mich zu prügeln, als ich noch ein Säugling war. Für meine Mutter war Crystal der größte Folterknecht. Für mich war es Candy, die jüngere Tochter von Clarissa.«
    »Hat deine Mutter nicht verschucht, dich zu beschütschen?«
    »Sie hat es versucht, aber alle hatten sich gegen sie verschworen. Sie hat sie immer wieder herausgefordert, wenn sie mir etwas antun wollten, weil sie sich dann auf sie gestürzt haben. Man erzählte ihr, wenn sie das Rudel verlässt, würden die Menschen sie und mich töten. Sie hatte kein Geld und konnte nirgendwo hingehen. An meinem elften Geburtstag setzten Candy und ihre Schergen mich in Brand. Meiner Mutter wurde klar, dass sie mich früher oder später töten würden. Sobald meine Verletzungen so weit abgeheilt waren, dass ich wieder laufen konnte, schnappte meine Mutter mich und haute ab. Wir rannten quer durch das Land. Sie haben nie versucht, uns zu folgen.«
    Vor meinem geistigen Auge blitzte eine Erinnerung auf, wie meine Mutter und ich uns in eine Decke gehüllt in irgendeinem Hotelzimmer aneinanderkauerten. Wir beide zitterten, weil irgendein Geräusch von draußen uns an Clarissas Stimme erinnert hatte.
    »Ich wollte keine böschen Erinnerungen in dir wecken.«
    »Ich weiß. Iss auf.«
    Er blickte auf die Rippchen. »Ich habe keinen Hunger mehr.«
    »Schon gut«, sagte ich. »Lass nichts verkommen.«
    Er biss in das Fleisch. »Bischt du jemalsch tschurückgekehrt?«
    Ich sah ihn lächelnd an. »Was glaubst du?«
    Er blinzelte nur.
    »Mit dem Rudel ist etwas Seltsames passiert«, sagte ich. »Vor einigen Jahren wurde es von jemandem vollständig ausgelöscht. Es muss ein ziemlich guter Schütze gewesen sein, weil die meisten aus größerer Entfernung erschossen wurden. Saubere Schüsse mit Silberkugeln.« Ich beugte mich vor und berührte eine Stelle an seiner Schädelbasis etwa einen Zentimeter unter seinem Ohrläppchen. »Die Aprikose. Auch als Medulla oblongata bekannt. Das ist ein Gehirnteil, der unbewusste Funktionen kontrolliert: Atmung, Herzschlag, Verdauung. Es ist das einzige Organ im Körper eines Gestaltwandlers, das zum sofortigen Tod führt, wenn es von einer Silberkugel getroffen wird. Ein sehr kleines Ziel.« Ich hielt Daumen und Zeigefinger etwa drei Zentimeter auseinander. »Winzig. Dazu braucht man sehr viel Übung.«
    Ascanios Augen waren riesig in seinem Bouda-Gesicht.
    Nicht jeder erlitt einen sauberen Tod. Bei manchen spielte es sich in größerer Nähe und persönlicher ab. Es starben auch nicht alle. Es gab vier Kinder – allesamt Jungen – und drei Heranwachsende – zwei Mädchen und ein Junge

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