Geheime Macht
über uns gelangen. Raphael stellte mich wieder auf die Füße, nahm Anlauf und sprang. Er drehte sich in der Luft und vergrößerte das Loch in der Decke mit einem Fußtritt. Er landete auf dem Boden und rollte sich ab, während über ihm ein Schauer aus Holzstücken niederging. »Los!«
Ich verschränkte die Arme über dem Kopf und sprang. Holz und Dachziegel schlugen gegen meine Unterarme. Dann hielt ich mich am Dach fest und zog mich hinauf. Der Rand des Dachs leuchtete mit magischer Energie. Am Boden breiteten sich riesige orangefarbene Symbole auf dem schimmernden Rasen aus. Ein blassgelbes Licht umschloss jeden einzelnen Grashalm mit einer magischen Hülle. Das gesamte Grundstück rund um das Haus war durch Wehre geschützt, und es waren verdammt mächtige Wehre. Toll!
Raphael zwängte sich hinter mir durch das Loch.
Auf den Rasen zu springen kam nicht infrage. Die Magie würde uns braten oder Schlimmeres anstellen. Ich fuhr herum und suchte nach einem Baum, einem Turm, einer Wand, irgendetwas, das nahe genug war, um es vom Dach aus mit einem Sprung zu erreichen.
Am anderen Ende des Dachs führte ein langes Kabel zur Mauer hinunter, die Anapas Grundstück begrenzte.
»Stromkabel«, bellten wir uns gleichzeitig zu.
Wir stürmten über das Dach. Ich sprang auf das Kabel und tänzelte weiter, hielt mit meinen übergroßen Füßen das Gleichgewicht. Eins, zwei, drei, links, rechts … Schließlich sprang ich auf die niedrige Steinmauer, die Anapas Anwesen von der Straße abgrenzte. Raphael zog sich die Schuhe aus, warf sie fort in die Nacht, nahm Anlauf und flog auf das Kabel zu, das er mit den Armen auffing. Er schwang sich hinauf und lief dann langsam los, die Arme ausgebreitet, in der Schwebe zwischen dem orangefarben leuchtenden Rasen und dem schwarzen Himmel.
Ich hielt den Atem an.
Die Seitentür des Herrenhauses flog auf. Ein tiefes, grollendes Gebrüll hallte durch die Nacht, ausgestoßen von einem riesigen Maul. Mein Nackenfell sträubte sich.
Raphael schwankte, rannte drei Meter weiter und sprang, um die noch verbleibende Distanz mit einem mächtigen Satz zu überwinden. Er segelte durch die Luft und landete neben mir auf der Mauer.
Ein greller, unnatürlich gelber Lichtblitz explodierte auf dem Rasen. Ich wartete nicht ab, um mich zu überzeugen, was es war. Wir sprangen von der Mauer zur Straße hinunter und rannten.
Das Gebrüll verfolgte uns. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich einen gewaltigen Schatten, der über die Mauer hinwegsetzte, als wäre es ein Kinderspiel. Das Geschöpf landete hinter uns auf der Straße. Es war groß wie ein Rhinozeros, der Kopf war mit einer riesigen Mähne ausgestattet und mit langen, krokodilartigen Kiefern bewaffnet. Sein Geruch schlug mir entgegen, ein penetranter traniger Gestank, der an verfaulten Fisch, verwestes Blut und alten Schweiß erinnerte. Das Ganze war durchsetzt mit einer unnatürlichen Note, eine schreckliche, brutale Widerwärtigkeit, die mich mit dem Versprechen des Todes bestürmte. Angst wand sich in meinem Körper. Meine Instinkte trieben mich an, schneller zu flüchten.
Wir rannten die Straße hinunter.
Das Ding hinter uns brüllte wieder und jagte uns. Es stampfte gewaltig groß, aber unheimlich schnell hinter uns her.
Ich blickte mich um. Der Abstand wurde geringer.
In meiner Kehle verwandelte sich die Luft in Feuer. Etwas stach in meine Seite.
Lauf. Lauf schneller. Schneller!
Wieder warf ich einen Blick über die Schulter. Die Bestie holte uns ein. Wir rannten, so schnell wir konnten, und sie kam immer näher.
Mit halsbrecherischem Tempo nahmen wir eine Ecke. Eine Gebäuderuine ragte vor uns auf, ein großes dunkles Wrack mit einem klaffenden schwarzen Loch auf Bodenhöhe. Raphael zeigte darauf. Wir scherten nach rechts aus und sprangen durch das Loch in die Dunkelheit.
Drinnen war das Gebäude geräumig und leer, nur noch eine Hülle. Hohe Stützpfeiler reckten sich empor, ohne etwas zu stützen, denn die oberen Stockwerke waren schon vor langer Zeit eingestürzt, durch die Löcher im verschmutzten Glasdach schien der Mond, zeichnete wahllos Flecken aus blauem Licht auf den Boden. Wir huschten wie zwei Phantome weiter, lautlos und schnell, und tauchten in den tiefen, dunklen Schatten vor der gegenüberliegenden Wand ein. Raphael griff nach meiner Hand und drückte sie. Ich erwiderte den Druck.
Vielleicht rannte das Monstrum einfach vorbei.
In dem Loch in der Wand, durch das wir ins Gebäude gelangt waren, tauchte eine dunkle
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