Geheime Macht
Giftzahn erwischt, aber einer genügte völlig. Das Gewebe rund um den Biss war hellrot angelaufen. Die Haut spannte sich heiß mit dem Anfang einer Schwellung.
Wenn man nach Raphaels Leuten gehen konnte, blieben mir nur noch ein paar Minuten, bis das Gift mich tötete.
Die beste Methode, die Ausbreitung von Schlangengift zu verhindert, stammte aus Australien und bestand darin, eine feste breite Bandage mit Schlinge und Tourniquet anzulegen. Das Gift musste sich erst durch das Lymphsystem ausbreiten, bevor es in den Blutkreislauf gelangen konnte. Also presste man das Gewebe zusammen, damit sich die Lymphe nicht mehr im verletzten Körperteil bewegen konnte.
Ich konnte mich selbst nicht abbinden, ohne den betroffenen Arm zu bewegen, und selbst wenn, konnte ich es nicht richtig und fest genug machen. Ich konnte nur eine Aderpresse anlegen und hoffen, dass mein Arm und ich es überlebten.
Ich zog ein Taschentuch aus der Tasche und band den Arm über der Bissstelle ab, um den Fluss von Blut und Lymphe zu unterbinden. Das musste genügen.
Gloria lag immer noch ziemlich tot am Boden. Meine rationale Seite übernahm die Führung. Erstens: Gloria hatte riesige Fangzähne. Zweitens: Sie war giftig. Drittens: Sie stand in Verbindung mit einer Recyclingfirma, die mit Raphael um das Blue Heron konkurriert hatte. Falls sie nicht zu der Bande gehörte, die Raphaels Mitarbeiter umgebracht hatte, war sie diesen Leuten auf jeden Fall schon beim Mittagessen begegnet. Endlich hatte ich meine heiße Spur, aber das Problem war, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Wenn das Gift mich erledigte, würde die Polizei den Tatort niemals für das Rudel freigeben. Ich war kein offizielles Mitglied, und ich war nicht einmal bei der Stadtverwaltung als Gestaltwandlerin registriert, womit dieser Tatort in die Zuständigkeit der PAD fallen würde. Das Rudel und die Person, die meine Ermittlungsarbeit fortsetzen würde, erhielten keinen Zugang zu den wichtigen Hinweisen, die Glorias Körper zu bieten hatte. Ich musste so viel Beweismaterial wie möglich sichern.
Ich nahm die Polaroid-Kamera aus der Tasche an meinem Gürtel, zog die Lippen der Frau zurück und machte einen Schnappschuss. Die Kamera druckte das Foto aus. Ich drehte es um und schrieb »Eigentum von Jim Shrapshire« darauf, steckte es in meine Hemdtasche und verstaute die Kamera wieder. Wenn ich starb, würde die Polizei die Aufnahme finden und Jim danach fragen, was bedeutete, dass er sie zu sehen bekam und seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen konnte. Ansonsten hoffte ich, dass ich damit nicht mein eigenes Todesurteil unterschrieben hatte.
Ich ging zum Telefon. Ein paar Schlangen am Boden schnappten nach meinen Kampfstiefeln, aber keine konnte mir etwas anhaben. Ich griff über den Tresen und betätigte den Knopf an der Wand, der das Metallgitter vor der Tür wieder hochfahren ließ. Dann stieg ich auf den Tresen, um außer Reichweite der Schlangen zu sein, nahm den Telefonhörer auf und wählte die Nummer des Büros.
»Cutting Edge!«, piepste Julie ins Telefon.
»Lass mich das machen«, knurrte Ascanio.
»Hier ist Andrea. Schalt mich auf Lautsprecher.«
»Schon passiert«, sagte Julie.
»Hört mir sehr genau zu. Ich bin bei Gloria’s Antiques an der White Street. Ich wurde von einer Giftschlange gebissen, wahrscheinlich von einer Viper. Es dürfte die gleiche Art sein, die auch Raphaels Leute getötet hat. Ich sterbe. Ruft einen Krankenwagen. Nennt den Sanitätern Glorias Adresse und sagt ihnen, dass sie das Gegengift mitbringen sollen. Als Nächstes ruft ihr Doolittle an und wiederholt, was ich gerade gesagt habe. Dann ruft ihr Jim an und erzählt ihm dieselbe Geschichte. Sagt ihm, dass ihr einen Krankenwagen bestellt habt. Lasst niemanden außer Kate ins Büro. Habt ihr das verstanden?«
»Ja«, sagte Julie mit tonloser Stimme.
»Gut.« Ich legte auf.
Mein Metabolismus arbeitete vermutlich doppelt so schnell wie der eines normalen Menschen. Je schneller er arbeitete, desto schneller würde sich das Gift im Körper ausbreiten. Ich musste ruhig bleiben. Je mehr ich mich bewegte, je mehr Sorgen ich mir machte, desto schneller würde ich sterben.
Ich legte mich flach auf den Tresen. Unter mir krochen die Schlangen herum, und ihre Schuppen flüsterten leise über die Bodendielen. Mein Arm brannte. Meine Stirn fühlte sich feuchtkalt an. Am Haaransatz brach mir der Schweiß aus. Übelkeit stieg vom Magen in meine Kehle auf.
Ich konzentrierte mich aufs Atmen. Ein
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