Geheime Macht
miteinander verknüpft. Ihn zu entwirren schien unmöglich zu sein.
Stinkender, hässlicher, dummer Bouda-Idiot. Ich hätte einen Kanister voller Fliegen in seinem Auto freilassen sollen. Das wäre ein schöner Spaß gewesen. Es hätte kein Problem gelöst, aber danach hätte ich mich besser gefühlt.
Ich zog meine Sachen an, setzte mich an den Küchentisch, probierte den Karottenkuchen, der köstlich schmeckte, und betrachtete eine Weile die Botschaft: DU GEHÖRST MIR . Das sah Raphael gar nicht ähnlich. In meiner Erinnerung hallte sein Gebrüll wider. Raphael war raffiniert. Er verführte und verlockte, und darin war er richtig gut. So gut, dass ich auf ihn hereingefallen war, obwohl ich geschworen hatte, dass eher die Hölle gefror, als dass ich mich von einem Bouda anfassen ließ. Das sah ihm ganz und gar nicht ähnlich. Hatte er wirklich den verzweifelten Wunsch, mich zurückzubekommen?
Ich wünschte, ich wäre in einer anderen Zeit geboren worden. Irgendwann in der Vergangenheit, vor der Magie, vor den Gestaltwandlern, wo ich einfach nur meinen Job als Polizistin hätte machen können. Wo Raphael ein normaler Mann wäre und ich ein normales Mädchen und uns keine komplizierten Gestaltwandlerangelegenheiten in die Quere kamen. Noch besser wäre natürlich, wenn die Magie niemals gekommen wäre. Aber das würde bedeuten, dass ich auch niemals so etwas wie den magischen Wald erlebt hätte. Ich wäre langsamer, blinder, tauber. Schwächer. Nein, die Magie war dauerhaft in der Welt, und dasselbe galt für mein anderes Ich. Ich hatte es so lange unterdrückt, und nun hatte es das Ruder übernommen und kicherte wie verrückt, während es mich über die Klippe trieb.
*
Als ich ins Büro kam, öffnete Ascanio mir mit dem Gesichtsausdruck höchster Beunruhigung die Tür. »Nimm mich mit. Bitte. Ich werde alles für dich tun.«
Ich trat ins Büro und sah den Grund für seine Panik. Er saß hinter Kates Schreibtisch. Er hatte blondes Haar, das einen Tick heller als meins war, trug ein blaues T-Shirt und einen schwarzen Rock mit Spitzenrüschen und hätte auf einen außenstehenden Beobachter wie ein süßes jugendliches Mädchen gewirkt. Und das war sie auch – mit vierzehn Jahren war Julie einfach nur süß und sich sehr ihrer Stellung als adoptiertes Kind von Curran und Kate bewusst. Die meiste Zeit war sie eine perfekte Prinzessin des Rudels, höflich und selbstsicher – außer wenn Derek, Kates Kumpan, oder Ascanio anwesend waren. Derek bekam eiskalte, mit Nadeln gespickte Antworten von ihr, und wenn Ascanio dabei war, verwandelte sie sich in einen unflätigen sarkastischen Teufel.
Es war nicht einfach, ein Teenager-Mädchen zu sein. Ich war eins gewesen und hatte keine Lust, diese Erfahrung noch einmal zu machen.
»Nimm mich mit«, bettelte Ascanio.
»Er darf nicht. Er hat den Test über das Gilgamesch-Epos verhauen«, sagte Julie mit frostiger Stimme. »Kate hat ihm gesagt, dass er hier bleiben und lernen soll.«
Ascanio drehte sich zu ihr um und sagte nur ein einziges, mit Verachtung getränktes Wort: »Petze.«
»Heulsuse«, entgegnete Julie.
»Harpyie«, sagte Ascanio.
Julie bedachte ihn mit einem Blick konzentrierter Geringschätzung. »Weichei.«
Ascanio funkelte sie an.
Julie verschränkte die Arme.
»Wohin ist Kate gegangen?«, fragte ich.
»Zur Söldnergilde«, sagte Julie.
Wahrscheinlich versuchte sie immer noch, den Streit zu schlichten, wer jetzt die Gilde führen sollte. Es gab im Moment ein Machtvakuum, und Kate genoss als Veteranin der Söldner einigen Respekt.
»Hast du den Scheck von diesem Mechaniker geholt?«, fragte ich. »Für das Auto dieser Frau?«
»Er liegt auf deinem Schreibtisch.« Ascanio drehte sich wieder zu Julie um und formte mit den Lippen das Wort »Tussi«.
Er konnte wohl einfach nicht lockerlassen.
»Liegt es an mir, oder stinkt es hier?« Julie wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum.
Das konnte nicht ihr Ernst sein! Einem Gestaltwandler vorzuwerfen, dass er stank, war die schlimmste aller Beleidigungen.
»Du bist so schmutzig, Ascanio«, sagte Julie mit verzogenem Gesicht. »Sei vorsichtig, die Fliegen werden dich lieben, wenn du so weitermachst.«
Ascanio zeigte ihr die gefletschten Zähne. »Sei vorsichtig, dass du dir keine Läuse einfängst. Dann wird man dir eine Glatze rasieren.«
Julie verdrehte die Augen. »Es ist nicht nötig, sich den Kopf zu rasieren, wenn man Läuse hat. Man benutzt einfach eine Lösung mit Pyrethrum oder irgendeinem
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