Geheime Macht
grüner Farbe. Eine kleine runde Schachtel voller blauer und weißer Glasperlen. Eine billige Taschenuhr. Ein paar Münzen, verschiedene kaputte Messer, eine antike Brille, unten dunkelrot und oben goldgelb, eine Punschschüssel aus Glas mit Weintraubenmuster an der Seite und einer seltsamen gelben Patina … Alles nur Schrott. Man konnte kostbarere Stücke auf jedem Flohmarkt finden. Hatte sie etwa ein ganzes Lagerhaus voll von diesem Zeug?
Eine große Frau kam aus dem Hintergrund des Geschäfts. Sie trug einen beige-braunen Anzug. Ihr hellbraunes Haar war in einem komplexen Arrangement auf dem Kopf zusammengerollt worden. Ihre Augen hinter der schwarz umrandeten Brille waren dunkel und ruhig. Ordentlich, gepflegt, professionell.
»Hallo«, sagte sie. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Hallo. Sind Sie Gloria?«
»Ja«, sagte die Frau und nickte.
»Mein Name ist Andrea Nash. Ich ermittle in einem Mordfall an einer Grabungsstelle des Rudels.«
Gloria trat hinter den linken Tresen und ging auf die Tür zu. Ich musste mich umdrehen, um sie im Blick zu behalten.
»Ein Mordfall?«
Sie wusste etwas. »Ja.«
»Wer wurde ermordet?« Gloria stellte einen großen Plastikeimer auf den Tresen.
»Mehrere Gestaltwandler. Sie waren Angestellte einer Recyclingfirma.«
»Das klingt nach einer Tragödie.« Gloria sah mich mit einem Lächeln an. »Aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun hat.«
Sie hatte eine Hand an den Eimer gelegt und die Muskeln angespannt. Normalerweise würde ich sie langsam umkreisen und einen Hinweis nach dem anderen aus ihr herauslocken, aber dazu war sie viel zu nervös. Ich musste strategisch entscheiden. Anapa war wahrscheinlich hinter dem Zierdolch her. Sie vielleicht auch. Vielleicht arbeitete sie sogar für ihn.
Ich gab einen Schuss ins Blaue ab. »Geben Sie mir das Messer, Gloria.«
Sie warf den Inhalt des Eimers auf mich. Ich duckte mich sofort, aber nicht schnell genug. Ein Knäuel traf meinen Oberkörper, zerfiel und löste sich zu meinen Füßen in sich windende Einzelteile auf.
Schlangen.
Ich sah wieder die aufgedunsenen Leichen von Raphaels Mitarbeitern. Ein Biss würde den sicheren Tod bedeuten. Ich sprang hoch und nach rechts, um etwas Abstand zwischen mich und das Gewimmel der verängstigten Schlangen zu bringen, und zog meine Pistolen. Hinter mir rasselte vor der Tür ein schweres Metallgitter herunter.
Ich war gefangen.
Ich fuhr herum und sah, dass Gloria auf dem Tresen kauerte. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
Gloria öffnete den Mund. Ihr Unterkiefer sprang aus dem Gelenk und teilte sich in zwei Hälften, sodass ihr Mund noch größer wurde. Sie zog die Lippen zurück, fletschte die Zähne und verwandelte das Gesicht in eine groteske Maske. Zwei Reißzähne glitten aus Taschen im Zahnfleisch über ihren menschlichen Eckzähnen.
Mann!
Gloria duckte sich.
»Nicht!«, brüllte ich sie an. Ich durfte mich nicht beißen lassen, und ich brauchte sie lebend, weil ihr Wissen mit ihr sterben würde.
Gloria sprang. Es hatte nichts mit Kampfkunst zu tun. Sie sprang mich einfach an, als hätte sie Federn in den Beinen, den Mund aufgerissen, die Fangzähne entblößt.
Ich schoss. Zwei Kugeln trafen ihren Bauch, die nächsten zwei erwischten ihren Brustkorb, dann krachte sie gegen mich. Ihre Hände drückten meine Arme an den Körper. Vier Kugeln, und sie wurde nicht einmal langsamer. Sie hätte tot sein oder zumindest blutend am Boden liegen sollen.
Ich versuchte, meine Arme zu befreien, aber sie hielt mich fest umklammert, mit Händen, die wie Stahlzangen waren. Ihre Zähne zielten auf meine Kehle. Nein, verdammt! Ich rammte ihr meine Stirn ins Gesicht. Sie taumelte zurück. Ihre Nase war nur noch eine Masse aus rotem Fleisch. Ich bekam meinen linken Arm und die Hand frei, in der ich immer noch die SIG hielt. Gloria biss mir in den rechten Arm, stach durch das Hemd in die Haut; ich legte die SIG an ihr Ohr und pumpte ihr drei Kugeln in den Schädel.
Blut spritzte über den Boden, durchsetzt von Hirnmasse und Stücken des zertrümmerten Schädels. Gloria sackte zusammen und blieb zu meinen Füßen liegen.
Das lief ja großartig. Gloria und ihre Geheimnisse waren tot, ich war gebissen worden, und ich stand kurz davor, mich zu ihr zu gesellen. Wie in aller Welt hatte es so schieflaufen können?
Mein Arm brannte. Ich riss vorsichtig den Ärmel ab und hielt den rechten Arm still. In der Nähe des Ellbogens sah ich einen einzigen Einstich – sie hatte mich mit nur einem
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