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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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der Mansardenwohnung in der South Audley Street zu dem goldglitzernden Palast am Berkeley Square, dem Flug im Hubschrauber und der geheimnisvollen Reise auf die namenlose Insel im Norden. Während ich ihr unsere Kriegsherren vorstellte, zogen in ebenso vielen Minuten drei Jahreszeiten über ihr Gesicht hinweg. Verhaltener Groll gegen den Schurken Franco mit seinem lahmen Bein und seiner Kampflust; wissende Trauer um den aidskranken Dieudonné. Erst als ich ihr meine vorläufige Skizze des Sorbonne-Absolventen und Nachtclubkönigs Haj präsentierte, meldete sich streng das Mädchen aus der Pfingstlermission zu Wort.
    »Nachtclubbesitzer sind Gauner, Salvo. Warum sollte Haj anders sein? Er verkauft Bier und Mineralien, also verkauft er sicher auch Drogen und Frauen. So ist das heutzutage Brauch bei der jungen Elite von Kivu. Man trägt dunkle Brillen und fährt schicke Geländewagen und sieht sich mit seinen Freunden Pornofilme an. Sein Vater Luc hat in Goma einen ziemlich üblen Ruf, das darfst du mir glauben. Ein Machtmensch, der die Politik zu seiner persönlichen Bereicherung be treibt und nicht um der Menschen willen. « Aber dann zog sie die Stirn kraus und schwächte ihr Urteil widerstrebend ein wenig ab. »Wobei man auch sagen muß: Als anständiger Mensch kommst du im Kongo heute nicht zu Geld. Man muß ihn immerhin für seinen Geschäftssinn bewundern.«
    Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, unterbrach sie sich und setzte wieder ihren musternden Blick auf. Und wenn Hannah das tut, wird das Thema Eigensicherung zweitrangig.
    »Du hast eine besondere Stimme für diesen Haj. Hast du auch besondere Gefühle für ihn?«
    »Ich hatte für alle besondere Gefühle«, antwortete ich ausweichend. »Für jeden auf seine Weise.«
    »Warum ist Haj dann anders? Weil er verwestlicht ist?«
    »Ich habe ihn enttäuscht.«
    »Wie denn, Salvo? Das glaube ich dir nicht. Vielleicht hast du dich selbst enttäuscht. Das ist nicht dasselbe.«
    »Sie haben ihn gefoltert.«
    »Haj?«
    »Mit einem Elektroschocker. Er hat geschrien. Dann hat er ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten. Und dann hat er sich verkauft.«
    Sie schlo ß einmal kurz die Augen. »Und du hast zugehört?«
    »Ich sollte nicht. Ich hab’s einfach gemacht.«
    »Und du hast es aufgenommen?«
    »Nicht ich, die anderen.«
    »Während er gefoltert wurde?«
    »Es war ein Archivband. Fürs Archiv, nicht für den Einsatz.«
    »Und wir haben es hier?« Sie sprang vom Bett und war mit drei Schritten beim Erkertisch. »Das hier?«
    »Nein.«
    »Das?« Als sie mein Gesicht sah, legte sie das Band wieder auf den Tisch, kam zurück und setzte sich zu mir aufs Bett. »Wir müssen etwas essen. Wenn wir gegessen haben, spielen wir das Band ab. Einverstanden?«
    Einverstanden, sagte ich.
    Aber bevor wir etwas essen gehen konnten, mu ßte sie sich noch etwas zum Anziehen aus dem Schwesternheim holen, und ich blieb eine Stunde mit meinen Gedanken allein. Sie kommt nicht mehr zurück. Sie hält mich für verrückt, und recht hat sie. Sie ist zu Baptiste gelaufen. Diese hurtigen Schritte auf der Treppe gehören nicht Hannah, sondern Mrs. Hakim. Aber Mrs. Hakim wiegt gute anderthalb Zentner, wogegen Hannah eine Sylphe ist.
    * * *
    Sie erz ählt von ihrem Sohn, Noah. Mit der einen Hand ißt sie Pizza, mit der anderen hält sie die meine, während sie mir auf Swahili von ihm berichtet. Als sie ihn bei unserem ersten Mal erwähnt hat, war sie noch befangen dabei. Heute muß sie mir alles sagen, wie sie zu ihm gekommen ist, was er ihr bedeutet. Noah ist ein Kind der Liebe, wie es heißt, nur – Salvo, das mußt du mir glauben – da war keine Liebe im Spiel, kein bißchen.
    »Nachdem mein Vater mich von Kivu nach Uganda geschickt hatte, damit ich Krankenschwester werde, bin ich auf einen Medizinstudenten hereingefallen. Als ich von ihm schwanger wurde, hat er mir gesagt, daß er verheiratet ist. Einem anderen Mädchen, mit dem er ins Bett ging, hatte er erzählt, er wäre schwul.«
    Sie war sechzehn, und statt einen sch önen runden Babybauch zu bekommen, nahm sie sechs Kilo ab, bevor sie den Mut fand, einen HIV-Test zu machen. Er fiel negativ aus. Heutzutage schiebt sie nichts mehr auf die lange Bank, Unangenehmes wird sofort erledigt. Sie bekam das Kind, und ihre Tante half ihr, es zu versorgen, während sie ihre Ausbildung abschloß. Alle Medizinstudenten und Jungärzte wollten mit ihr ins Bett, aber sie schlief mit keinem Mann mehr, bis ich kam.
    Sie f ängt an zu lachen. »Und was

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