Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
»Ein bißchen Schnellschrift, ein bißchen Steno und jede Menge Eigenfabrikat« – was ich allen meinen Klienten sage, denn das habe ich inzwischen gelernt: Wenn man sie auf die Idee bringt, Dolmetschernotizen könnten Aktenmaterial sein, landet man nur vor Gericht oder sonstwie in Teufels Küche.
    »Würden Sie’s uns noch mal vorlesen, alter Junge?«
    Ich lese es ihnen vor wie befohlen. Auf Englisch, nach meinen Aufzeichnungen wie beim letzten Mal auch schon, unter Auslassung keines noch so winzigen Details und so weiter und so fort. Maxie und Philip machen mich fuchtig, auch wenn ich mich h üte, es zu zeigen. Ich habe ihnen gesagt, daß wir ohne Mr. Andersons hochentwickelten Sound Enhancer die ganze Nacht dasitzen können, aber das schreckt sie nicht, o nein. Sie wollen partout den O-Ton aus meinem Kopfhörer hören, sinnloserweise, schließlich sprechen sie beide kein Wort in einer der Unterwassersprachen. Die Stelle, auf die sie sich eingeschossen haben, sind die sieben unverst ändlichen Sekunden gleich nach der ersten Erwähnung des dicken zigarrenrauchenden Holländers, und wenn schon ich nicht schlau daraus werde, warum sollten dann sie es?
    Ich gebe Philip meinen Kopfh örer – vielleicht möchten sie ihn sich ja teilen, denke ich, aber nein, Philip reißt ihn sich ganz unter den Nagel. Er hört sich die Passage einmal an, er hört sie sich dreimal an. Und jedesmal nickt er Maxie wissend zu. Dann reicht er den Kopfhörer Maxie und befiehlt mir, das Stück noch ein weiteres Mal vorzuspielen, und schließlich nickt Maxie wissend zurück, was nur bestätigt, was ich die ganze Zeit schon argwöhne: Sie wissen, wonach sie suchen, und haben es mir nur nicht gesagt. Und nichts läßt einen Spitzendolmetscher dümmer dastehen, dümmer und nutzloser, als von einem Auftraggeber unvollständig informiert worden zu sein. Außerdem ist es mein Band, nicht ihres. Meine Trophäe. Ich war es, der es Haj abgerungen hat, nicht sie. Ich habe mit Haj darum gekämpft, es war unser Duell.
    »Ganz große Klasse, alter Junge«, versichert Maxie mir.
    »War mir ein Vergnügen, Skipper«, antworte ich artig. Aber im stillen denke ich: Spar dir die Schulterklopferei, so was hab ich nicht nötig, auch nicht von dir.
    »Absolut genial«, schnurrt Philip.
    Dann sind sie beide weg, obwohl ich nur ein Paar energischer Schritte auf den Stufen h öre, denn Philip, ja, Philip ist ein lautloser Berater, und es würde mich nicht wundern, wenn er auch keinen Schatten hätte.
    * * *
    Eine lange Zeit, so kam es mir vor, sa ß ich danach einfach nur da. Ich nahm meinen Kopfhörer ab, wischte mir mit dem Taschentuch das Gesicht, setzte den Kopfhörer wieder auf, und nachdem ich eine Weile mit dem Kinn in der Faust gebrütet hatte, spielte ich mir den Sieben-Sekunden-Happen ein x-tes Mal vor. Was hatten Maxie und Philip gehört, das man mir nicht anvertrauen konnte? Ich spulte langsamer, ich spulte schneller und war immer noch nicht klüger als zuvor. Drei oder vier Takte mit einem u am Anfang, dann ein Drei- oder Vier-Silbenwort mit -ère oder -aire am Ende, und mir wären aus dem Stand ein Dutzend Wörter eingefallen, die gepaßt hätten: débonnaire, légionnaire, militaire, jegliches Air, das irgend jemand anstimmen mochte. Und danach ein Hiatus, gefolgt von einem ak wie in attaque.
    Ich nahm den Kopfh örer erneut ab, vergrub das Gesicht in den Händen und flüsterte in das Dunkel. Was ich flüsterte, weiß ich nicht mehr. Ganz gewiß fühlte ich mich da noch nicht als Verräter. Einräumen will ich allenfalls ein Mißbehagen, das zu ergründen ich keinerlei Ehrgeiz hatte. Ich war erledigt nach meinem Zweikampf mit Haj, ausgepumpt und unbefriedigt, nun da die Spannung nachließ. Ich überlegte sogar, ob unser Duell möglicherweise nur eine Ausgeburt meiner Phantasie war, bis mir der Argwohn wieder einfiel, den Haj schon beim Betreten der Gästesuite gezeigt hatte. Dabei befand ich mich – obwohl Penelopes Busenfreundin Paula das sicherlich anders sähe – nicht in der Ve r d r ä n g u n g s p h a s e . Es gab für mich ja noch gar keine Wahrheit, die ich hätte verdrängen können.
    Wenn ich in irgendeiner Form versagt zu haben meinte, dann vor mir selbst. Ich hatte mich entt äuscht, so beschrieb ich – auf dem unstreitigen Tiefpunkt meiner Stimmungskurve an diesem folgenschweren Tag – Hannah über den Äther hinweg meinen Zustand.
    Sam? Ich bin ’s, Brian. Was tut sich so?
    Gar nichts tut sich. Sam ist nicht auf ihrem Posten. Ich

Weitere Kostenlose Bücher