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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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ihrer Frisur verändert –, und ich mache ihr ein Kompliment. Sie nickt, bläst eine Rauchwolke aus und wirft mit einer Kopfbewegung einen langen Pferdeschwanz über die Schulter.
    »Ich hab mir die Haare verlängern lassen«, sagt sie. »Davon hab ich schon ewig geträumt, und schließlich hab ich mir gesagt, Mädel, das Leben ist zu kurz, um auf Glamour zu verzichten. Sieht echt aus, stimmt’s?«
    Ich zögere mit meiner Antwort, was sie als Zustimmung auffasst.
    »Das liegt daran, dass es tatsächlich echt ist. Solches, wie die Filmstars verwenden. Hier. Fühlen Sie mal.«
    »Meine Güte«, sage ich, während ich ihren Pferdeschwanz streichle. »Echtes Haar.«
    »Heutzutage ist einfach alles möglich.« Sie wedelt mit ihrer Zigarette, an deren Filter ihre Lippen eine schmierige
rote Spur hinterlassen haben. »Das kostet natürlich. Zum Glück hatte ich ein bisschen was für Notfälle beiseitegelegt. «
    Sie lächelt, glüht vor Stolz wie eine reife Pflaume, und allmählich dämmert mir, was hinter dieser Rundumerneuerung steckt. Und siehe da, aus ihrer Brusttasche zaubert sie ein Foto hervor.
    »Anthony«, sagt sie strahlend.
    Betont umständlich setze ich mir die Brille auf und betrachte das Bild eines Mannes in reiferem Alter mit grauem Schnurrbart. »Er sieht gut aus.«
    »Ach, Grace«, sagt sie mit einem glücklichen Seufzer. »Er ist wunderbar. Wir haben uns erst ein paarmal zum Tee getroffen, aber ich habe so ein gutes Gefühl bei ihm. Er ist ein echter Gentleman, wissen Sie. Nicht wie diese Tagediebe, die ich früher hatte. Er hält mir die Tür auf, schenkt mir Blumen, rückt mir im Restaurant den Stuhl zurecht. Ein richtiger, altmodischer Kavalier.«
    Letzteres sagt sie extra meinetwegen, entsprechend der allgemeinen Annahme, dass alte Leute nur das Altmodische zu schätzen wissen. »Was macht er denn beruflich? «, erkundige ich mich.
    »Er ist Lehrer an der örtlichen Oberschule. Heimatkunde und Englisch. Er ist unglaublich gebildet. Und Gemeinsinn hat er auch – er arbeitet ehrenamtlich für den Heimatkundeverein. Das ist sein Hobby, sagt er, all die Ladys und Lords und Herzöge und Herzoginnen. Er weiß jede Menge über diese Familie, die früher in dem Herrenhaus drüben auf dem Hügel gewohnt hat …« Sie unterbricht sich und späht mit zusammengekniffenen Augen zum Büro hinüber. »O Gott, o Gott. Schwester Ratchet. Ich soll den Tee auftragen. Wahrscheinlich hat Bertie Sinclair sich mal wieder beschwert. Wenn Sie mich fragen, täte es ihm ganz gut, wenn er sich das eine oder
andere Stück Kuchen verkneifen würde.« Sie drückt ihre Zigarette aus und stopft die Kippe in die Streichholzschachtel. »Ach ja, die Gottlosen haben keinen Frieden. Kann ich Ihnen noch was bringen, bevor ich mich um die anderen kümmere, meine Liebe? Sie haben Ihren Tee ja kaum angerührt.«
    Ich versichere ihr, dass ich nichts brauche, und sie eilt von dannen, Hüften und Pferdeschwanz im Gleichtakt schwingend.
    Es ist angenehm, umsorgt zu werden und den Tee serviert zu bekommen. Ich finde, ich habe diesen Luxus verdient. Ich habe weiß Gott oft genug anderen Leuten den Tee aufgetragen. Manchmal stelle ich mir vor, wie Sylvia sich als Dienstmädchen auf Riverton gemacht hätte. Aber die stille Fügsamkeit der Dienstboten liegt ihr nicht. Sie hat zu viel Charakter, hat nicht oft genug zu hören bekommen, wo »ihr Platz« ist; wohlmeinende Zurechtweisungen, die verhindern sollten, dass man seine Erwartungen allzu hoch schraubt. Nein, Nancy hätte in Sylvia keine so willfährige Schülerin gehabt wie in mir.
    Ich weiß, der Vergleich ist nicht fair. Die Menschen haben sich zu sehr verändert. Unser Jahrhundert hat seinen Tribut gefordert. Selbst die Jungen und Privilegierten tragen heute ihren Zynismus wie ein Ehrenabzeichen, die Augen leer und den Kopf voll mit Dingen, die sie nie wissen wollten.
    Das ist einer der Gründe, warum ich nie über die Hartfords und Robbie Hunter und über das, was sich zwischen ihnen abgespielt hat, gesprochen habe. Denn es hat durchaus Zeiten gegeben, als ich drauf und dran war, mich von dieser Last zu befreien und alles zu erzählen. Ruth zum Beispiel. Oder Marcus. Aber irgendwie spürte ich jedes Mal schon im Voraus, dass sie es nicht begreifen würden. Sie würden nicht verstehen, wie es zu
dem tragischen Ende kam. Warum es dazu kommen musste . Und wie sehr die Welt sich verändert hat.
    Natürlich nahmen wir auch damals schon die Anzeichen des Fortschritts wahr. Der Erste Weltkrieg

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