Geheime Spiel
Not Hoffnung machen wollte, auf jeden Fall bewies sie die Gabe der Hellseherei. Am nächsten Morgen wurde die Verlobung bekannt gegeben. Und als Lady Violet schließlich ihrer Grippe erlag, fiel sie dem Tod wenigstens als glückliche Frau in die Arme.
Es gab allerdings andere, die diese Nachricht weniger erfreut aufnahmen. Seit der offiziellen Bekanntgabe der Verlobung und dem Beginn der Hochzeitsvorbereitungen lief Emmeline mit finsterer Miene durchs Haus. Sie war eifersüchtig, das war klar. Es fragte sich nur, auf wen. Ich war mir nicht sicher.
An einem Morgen im Februar, als ich Hannah gerade dabei half, das Hochzeitskleid ihrer Mutter zu suchen,
erschien Emmeline an der Tür zur Wäschekammer. Wortlos trat sie neben Hannah und sah zu, als wir das weiße Seidenpapier auseinanderfalteten und das darin eingeschlagene spitzenbesetzte Seidenkleid zum Vorschein kam.
»Wie altmodisch«, sagte Emmeline. »So was würde ich nie anziehen.«
»Zum Glück brauchst du das ja auch nicht«, sagte Hannah und lächelte mir verstohlen zu.
Emmeline schnaubte.
»Sieh mal, Grace«, sagte Hannah. »Ich glaube, da hinten ist der Schleier.« Sie beugte sich in den großen Kleiderschrank aus Zedernholz hinein. »Siehst du ihn? Da hinten?«
»Ja, Miss«, erwiderte ich und streckte die Hand aus, um ihn hervorzuholen.
Hannah ergriff ihn an einer Seite, und wir breiteten ihn vorsichtig auseinander. »Das sieht Mutter ähnlich, dass sie den längsten und schwersten Schleier haben musste.«
Er war wunderschön: feine Brüsseler Spitze mit winzigen Saatperlen an den Rändern. Ich hielt ihn hoch, um ihn gebührend würdigen zu können.
»Du kannst von Glück reden, wenn du es damit durch die Kirche schaffst, ohne dir den Hals zu brechen«, lästerte Emmeline. »Vor lauter Perlen kannst du doch überhaupt nichts mehr sehen.«
»Das schaffe ich schon«, entgegnete Hannah und drückte Emmelines Handgelenk. »Mit dir als Brautjungfer. «
Damit hatte sie Emmeline den Stachel gezogen. »Ich wünschte, du würdest es nicht tun«, seufzte sie. »Alles wird sich hier ändern.«
»Ich weiß«, gab Hannah zurück. »Endlich kannst du
auf deinem Grammofon spielen, was du willst, ohne dass dir jemand reinredet.«
»Mach keine Witze«, schmollte Emmeline. »Du hast mir versprochen, du würdest nicht weggehen.«
Um ihr nicht an den Haaren zu ziehen, legte ich den Schleier ganz vorsichtig über Hannahs Kopf.
»Ich habe gesagt, ich würde mir keine Arbeitsstelle suchen, und das habe ich auch nicht getan«, erwiderte Hannah. »Aber ich habe nie gesagt, dass ich nicht heiraten würde.«
»Doch, das hast du.«
» Wann? «
»Immer, du hast immer gesagt, du würdest niemals heiraten.«
»Das war vorher.«
»Vor was?«
Hannah antwortete nicht. »Emmeline«, sagte sie schließlich, »würdest du mir mal das Medaillon abnehmen? Ich möchte nicht, dass es sich in der Spitze verfängt. «
Emmeline öffnete den Verschluss. »Warum Teddy?«, fragte sie. »Warum musst du ausgerechnet Teddy heiraten ?«
»Ich muss Teddy nicht heiraten, ich will ihn heiraten.«
»Du liebst ihn nicht«, sagte Emmeline.
Nach kurzem Zögern erwiderte Hannah leichthin: »Selbstverständlich liebe ich ihn.«
»Wie Romeo und Julia?«
»Nein, aber …«
»Dann solltest du ihn auch nicht heiraten. Du solltest ihn einer Frau überlassen, die ihn genau so liebt.«
»Niemand liebt sich wie Romeo und Julia«, entgegnete Hannah. »Das sind doch erfundene Figuren.«
Emmeline fuhr mit der Fingerspitze über die geprägte
Oberfläche des Medaillons. »Ich würde so lieben wollen«, sagte sie.
»Dann tust du mir leid«, erwiderte Hannah, bemüht, ihren Worten Beiläufigkeit zu verleihen. »Sieh doch, wie es ihnen ergangen ist.«
Ich trat zur Seite, um den Brautkranz zurechtzurücken. »Das sieht wunderschön aus, Miss«, sagte ich.
»David würde es bestimmt nicht gutheißen«, sagte Emmeline unvermittelt und ließ das Medaillon wie ein Pendel hin und her schwingen. »Ich glaube nicht, dass Teddy ihm gefallen würde.«
Hannah erstarrte, als der Name ihres Bruders fiel. »Sei nicht kindisch, Emmeline.« Vergeblich versuchte sie das Medaillon zu fassen. »Und sei nicht so grob damit, am Ende geht es noch kaputt.«
»Du läufst davon.« Emmelines Stimme hatte einen scharfen Ton angenommen.
»Das tue ich nicht.«
»David würde das denken. Er würde sagen, du lässt mich im Stich.«
Leise entgegnete Hannah: »Ausgerechnet er dürfte sich das nicht anmaßen.« Während ich
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