Geheime Spiel
schönsten Worte. Selbstverständlich begleite ich sie. Sie braucht Hilfe. Ich werde rechtzeitig zurück sein für die Verabredung mit Alfred.
Er ist Filmregisseur, Franzose und doppelt so alt wie sie. Schlimmer noch, er ist verheiratet. Hannah erzählt mir das alles unterwegs. Wir fahren zu seinem Filmstudio im Norden von London. Der Detektiv hat geschrieben, dass Emmeline sich dort aufhält.
Als Hannah bei der angegebenen Adresse hält, bleiben wir noch einen Moment im Auto sitzen und schauen durch die Windschutzscheibe. In diesem Teil von London sind wir beide noch nie gewesen. Die aus dunklen Ziegelsteinen errichteten Häuser sind schmal und niedrig. Es sind Leute auf der Straße, offenbar mit Glücksspiel beschäftigt. Teddys Rolls Royce ist verdächtig blank poliert. Hannah nimmt sich den Brief noch einmal vor,
um die Adresse zu überprüfen. Sie schaut mich an, hebt die Brauen, nickt.
Es ist kaum mehr als ein Wohnhaus. Hannah klopft an die Tür, und eine Frau öffnet. Sie hat Lockenwickler in den blonden Haaren und trägt einen cremefarbenen Morgenmantel, der zwar aus Seide, aber schmuddelig ist.
»Guten Morgen«, sagt Hannah. »Ich bin Hannah Luxton. Mrs Hannah Luxton.«
Die Frau verlagert ihr Gewicht, sodass ein Knie unter dem Morgenmantel zum Vorschein kommt, und schaut Hannah mit großen Augen an. »Sicher, Honey«, sagt sie mit einem Akzent ähnlich dem von Deborahs texanischem Freund. »Ist schon recht. Kommst du zum Vorsprechen ?«
Hannah blinzelt. »Ich komme wegen meiner Schwester. Emmeline Hartford?«
Die Frau runzelt die Stirn.
»Ein bisschen kleiner als ich«, sagt Hannah, »blond, blaue Augen?« Sie nimmt ein Foto aus ihrer Handtasche und reicht es der Frau.
»Ach die«, ruft die Frau aus und gibt Hannah das Foto zurück. »Das ist Baby.«
Hannah atmet erleichtert auf. »Ist sie hier? Geht es ihr gut?«
»Sicher«, antwortet die Frau.
»Gott sei Dank. Na dann. Ich möchte sie sprechen.«
»Tut mir leid, Süße. Geht nicht. Baby ist gerade bei Dreharbeiten.«
»Dreharbeiten?«
»Sie drehen gerade eine Szene. Philippe kann es gar nicht leiden, bei der Arbeit gestört zu werden.« Die Frau verlagert erneut das Gewicht, und jetzt schaut ihr anderes Knie hervor. Sie legt den Kopf schief. »Ihr könnt beide hier drinnen warten, wenn ihr wollt.«
Hannah schaut mich an. Ich zucke hilflos mit den Schultern, und wir folgen der Frau ins Haus.
Sie führt uns durch einen Flur, eine Treppe hinauf und in ein kleines Zimmer, in dem ein Doppelbett mit zerwühlten Decken steht. Die Vorhänge sind zugezogen und sperren das Tageslicht aus. Drei Lampen brennen, die Schirme sind mit roten Seidenschals verhängt.
An einer Wand steht ein Stuhl, und darauf erkennen wir Emmelines Koffer. Auf einem der Nachttische liegt das Pfeifenbesteck eines Mannes.
»Ach, Emmeline …«, sagt Hannah, mehr bringt sie nicht heraus.
»Möchten Sie ein Glas Wasser, Ma’am?«, frage ich.
Sie nickt mechanisch. »Ja bitte.«
Ich wage nicht, nach zu unten gehen, um die Küche zu suchen. Die Frau, die uns nach oben geführt hat, ist verschwunden, und ich möchte nicht wissen, was hinter den verschlossenen Türen lauert. Aber am Ende des Flurs entdecke ich ein kleines Bad. Die Ablage ist übersät mit Bürsten und Schminkpinseln, Puderdöschen und künstlichen Wimpern. Die einzige Tasse, die ich finde, ist eine schwere Henkeltasse, an deren Innenseite sich mehrere klebrige Ringe gebildet haben. Ich versuche, sie zu spülen, aber die Ringe lassen sich nicht entfernen. Mit leeren Händen kehre ich zu Hannah zurück. »Tut mir leid, Ma’am …«
Sie sieht mich an. Atmet tief durch. »Grace«, sagt sie, »ich will dich nicht schockieren. Aber ich glaube, Emmeline lebt mit einem Mann zusammen.«
»Ja, Ma’am«, antworte ich, darauf bedacht, mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen, um ihres dadurch nicht noch zu vergrößern. »Es sieht so aus.«
Die Tür wird aufgerissen, und wir wirbeln herum. Emmeline steht vor uns. Ich bin wie vom Donner gerührt.
Ihr blondes Haar ist zu einer Lockenfrisur aufgetürmt, die ihre Wangen einrahmt, falsche Wimpern lassen ihre Augen noch größer erscheinen. Ihre Lippen sind knallrot geschminkt, und sie trägt den gleichen Morgenmantel wie die Frau, die uns eingelassen hat. Das Gehabe einer Erwachsenen, und doch wirkt sie irgendwie noch jünger. Es ist der Ausdruck auf ihrem Gesicht, denke ich. Ihr fehlt die Abgebrühtheit einer Erwachsenen: Sie ist zutiefst schockiert, uns hier
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