Geheime Spiel
und ab.
»Grace, kannst du dir vorstellen, wie es ist, bei einem Mittagessen mit sieben Frauen, die nur darauf warten, mich zu verspotten, plötzlich zu erfahren, dass jemand versucht hat, meine Zofe abzuwerben?«
Ich schnappe verdattert nach Luft.
»Mitten zwischen diesen Frauen zu sitzen und mir anzuhören, wie sie sich das Maul darüber zerreißen, darüber lachen und so tun, als wunderten sie sich, dass ich nichts davon wusste? Dass so etwas direkt vor meiner Nase passieren konnte? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Es tut mir leid, Ma’am …«
»Das hoffe ich. Ich muss dir vertrauen können, Grace. Ich dachte, nach all den Jahren könnte ich das. Nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben …«
Ich habe immer noch nichts von Alfred gehört. Vor lauter Müdigkeit und Sorge klingt meine Stimme gereizt. »Ich habe Lady Pemberton-Browns Angebot abgelehnt, Ma’am. Ich habe Ihnen nichts davon gesagt, weil ich keinen Augenblick daran gedacht habe, das Angebot zu akzeptieren. «
Hannah bleibt stehen, sieht mich an, atmet tief aus. Sie setzt sich auf die Chaiselongue und schüttelt den Kopf. Ringt sich ein Lächeln ab. »Ach, Grace. Es tut mir leid. Wie scheußlich von mir. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, dass ich mich so aufführe.« Sie wirkt blasser als gewöhnlich.
Sie stützt den Kopf in die Hände und schweigt eine Weile. Als sie wieder aufblickt, schaut sie mir in die Augen
und sagt mit zitternder Stimme: »Es ist einfach alles so viel anders, als ich erwartet hatte, Grace.«
Sie wirkt derart mitgenommen, dass ich es sofort bereue, so ungehalten mit ihr gesprochen zu haben. »Was ist anders, Ma’am?«
»Alles.« Sie macht eine fahrige Geste. »Das hier. Dieses Zimmer. Dieses Haus. London. Mein Leben. Ich fühle mich so unfähig. Manchmal zermartere ich mir den Kopf und frage mich, wann ich die erste falsche Entscheidung getroffen habe.« Ihr Blick wandert zum Fenster hinüber. »Ich habe das Gefühl, dass Hannah Hartford, die echte Hannah Hartford, durchgebrannt ist, um ihr Leben zu leben, und mich hier zurückgelassen hat, um ihren Platz einzunehmen.« Einen Augenblick später wendet sie sich mir wieder zu. »Erinnerst du dich noch, dass ich letztes Jahr diese Wahrsagerin aufgesucht habe?«
»Ja, Ma’am.« Mir schwant Übles.
»Am Ende hat sie mir die Zukunft nicht vorausgesagt. «
Ich atme erleichtert auf, bis sie fortfährt.
»Sie konnte nicht. Wollte nicht. Sie hat es versucht: Ich musste mich hinsetzen, und sie hat mich eine Karte ziehen lassen. Aber als ich ihr die Karte gegeben habe, hat sie sie wieder zurückgesteckt, die Karten neu gemischt und mich eine neue ziehen lassen. Ich habe ihrem Gesicht angesehen, dass ich wieder dieselbe Karte gezogen hatte, und wusste sofort, welche es war: die Todeskarte.« Hannah steht auf und geht im Zimmer auf und ab. »Zuerst wollte sie es mir nicht sagen. Sie hat versucht, mir aus der Hand zu lesen, aber das ging auch nicht. Sie meinte, sie könne nicht deuten, was sie sieht, es sei alles so verschwommen. Aber eins sei sicher.« Hannah dreht sich zu mir um. »Sie meinte, der Tod schleiche um mich herum, und ich solle auf mich aufpassen. Tod in der Vergangenheit
oder Tod in der Zukunft, das wusste sie nicht, aber sie hat etwas Dunkles gesehen.«
Es kostet mich alle Überzeugung, die ich aufbringen kann, um ihr zu sagen, sie soll sich keine Gedanken darüber machen, ihr zu versichern, dass die Frau nur darauf aus war, an ihr zu verdienen, dafür zu sorgen, dass weitere Sitzungen nötig waren. Schließlich kann man heutzutage in London bei fast jedem davon ausgehen, dass er einen lieben Menschen verloren hat, vor allem bei Leuten, die die Dienste von Wahrsagern und Spiritisten in Anspruch nehmen. Aber Hannah schüttelt ungeduldig den Kopf.
»Ich weiß, was es bedeutet. Ich habe es selbst herausgefunden. Ich habe darüber gelesen. Es war ein symbolischer Tod. Manchmal sprechen die Karten in Metaphern. Es geht um mich. Ich bin innerlich tot, das spüre ich schon seit einiger Zeit. Es ist, als wäre ich gestorben und als wäre alles, was passiert, der seltsame, schreckliche Traum einer anderen Person.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich versichere ihr, dass sie nicht tot ist. Dass alles wirklich ist.
Sie lächelt mich traurig an. »Na dann. Das ist ja noch schlimmer. Wenn das das wirkliche Leben ist, dann habe ich gar nichts mehr.«
Ausnahmsweise weiß ich darauf eine Antwort. Eher eine Schwester als eine Zofe .
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