Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
Vom Netzwerk:
behielt ihre Geheimnisse lieber für sich. Aber nach den schrecklichen Ereignissen des Jahres 1924, als wir gemeinsam auf Riverton von der Welt abgeschlossen waren, wurde sie gesprächiger. Und ich war eine gute Zuhörerin. Folgendes hat sie mir erzählt.
    1
    Es war der Montag nach dem Tod meiner Mutter. Ich war nach Saffron Green abgereist, Teddy und Deborah waren bei der Arbeit, und Emmeline hatte sich mit
Freunden zum Mittagessen getroffen. Hannah saß allein im Wintergarten. Sie hatte vorgehabt, ihre Korrespondenz zu erledigen, aber ihr Briefpapier lag unangerührt auf der Chaiselongue. Sie hatte sich nicht dazu aufraffen können, überschwängliche Dankesbriefe an die Ehefrauen von Teddys Geschäftspartnern zu schreiben, und so saß sie stattdessen am Fenster und stellte sich vor, wie das Leben einzelner vorbeieilender Passanten aussehen mochte. Sie war so in ihr Gedankenspiel vertieft, dass sie nicht sah, wie er an die Haustür kam. Dass sie die Klingel nicht hörte. Sie tauchte erst wieder aus ihrer Gedankenwelt auf, als Boyle an die Tür des Wintergartens klopfte und Besuch ankündigte.
    »Ein Gentleman wünscht Sie zu sprechen, Ma’am.«
    »Ein Gentleman, Boyle?«, fragte sie, während sie ein kleines Mädchen beobachtete, das sich von der Hand seiner Mutter losriss und in den winterlichen Park rannte. Wann war sie selbst zum letzten Mal gerannt? So schnell, dass sie den Wind im Gesicht spürte und ihr Herz so laut klopfte, dass sie meinte, ihr würde die Brust zerspringen?
    »Er sagt, er hätte etwas, das Ihnen gehört und das er Ihnen zurückbringen möchte.«
    Wie lästig. »Kann er es nicht einfach Ihnen geben, Boyle?«
    »Er sagt, nein, Ma’am. Er sagt, er muss es persönlich abliefern.«
    »Ich wüsste nicht, dass ich irgendetwas vermisse.« Hannah riss sich widerwillig vom Anblick des kleinen Mädchens los und wandte sich vom Fenster ab. »Also gut, dann führen Sie ihn bitte herein.«
    Mr Boyle zögerte. Schien noch etwas sagen zu wollen.
    »Gibt es noch etwas?«, fragte Hannah.

    »Nein, Ma’am«, erwiderte er. »Nur, dass dieser Gentleman … Ich glaube, er ist kein richtiger Gentleman, Ma’am.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Nur, dass er nicht sehr respektabel wirkt.«
    Hannah hob die Brauen. »Er ist doch hoffentlich seriös gekleidet, oder?«
    »Ja, Ma’am, an seiner Kleidung ist nichts auszusetzen. «
    »Und er führt keine obszönen Reden?«
    »Nein, Ma’am«, erwiderte Boyle. »Er ist durchaus höflich.«
    Hannah erschrak. »Es ist doch hoffentlich kein Franzose? Klein, mit Schnurrbart?«
    »O nein, Ma’am.«
    »Dann erklären Sie’s mir Boyle. In welcher Hinsicht ist er nicht respektabel?«
    Boyle runzelte die Stirn. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Ma’am. Es ist nur so ein Gefühl.«
    Hannah tat, als dächte sie über Boyles Gefühl nach, doch ihre Neugier war geweckt. »Wenn der Gentleman sagt, er hat etwas, das mir gehört, dann wünsche ich es zurückzubekommen. Sollte er sich auf irgendeine Weise ungebührlich betragen, werde ich sofort nach Ihnen läuten, Boyle.«
    »Sehr wohl, Ma’am«, erwiderte Boyle, der sich plötzlich sehr wichtig vorkam. Er verbeugte sich und verließ das Zimmer, während Hannah ihr Kleid glatt strich. Als die Tür erneut aufging, stand Robbie Hunter vor ihr.
     
    Zuerst erkannte sie ihn nicht. Schließlich hatte sie ihn nur kurze Zeit erlebt, einen Winter lang, und der lag fast ein Jahrzehnt zurück. Und er hatte sich verändert. Als sie ihn auf Riverton kennengelernt hatte, war er noch
ein Junge gewesen. Mit glatter, weicher Haut, großen, braunen Augen und einem sanftmütigem Wesen. Und er war still gewesen, erinnerte sie sich. Das hatte sie damals so wütend gemacht. Seine zurückhaltende Art. Wie er ohne Vorwarnung in ihr Leben getreten war, ihr Äußerungen entlockt hatte, die sie nie hätte von sich geben sollen, und dann ganz unbekümmert ihren Bruder mit sich fortgelockt hatte.
    Der Mann, der jetzt vor ihr stand, war groß gewachsen. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. An seiner Kleidung war nichts ungewöhnlich, und doch wirkte sie an ihm anders als an Teddy und den anderen Geschäftsleuten, die Hannah kannte. Sein Gesicht war bemerkenswert schön, aber sehr mager, mit hohlen Wangen und dunklen Schatten unter den Augen. Sie konnte verstehen, was Boyle gemeint hatte, als er sagte, er wirke nicht sehr respektabel, hätte jedoch ebenso wenig wie der Butler beschreiben können, woran genau das lag.
    »Guten Morgen«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher