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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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sah er mich mit zusammengekniffenen Augen an.
    Ich versuchte vergeblich, Nancys Ton anzuschlagen, war dann aber froh, überhaupt ein Wort herauszubringen. »Ich bin Grace. Ich komme wegen des Buchs?« Ich wartete. »Sir Arthur Conan Doyle?«
    Er lehnte sich gegen seinen Karren. »Ich weiß, wer du bist.« Er stieß die Luft aus, und ich roch seinen nach Tabak stinkenden Atem. Während er mich musterte, rieb er sich die Hände an der Hose ab. »Ich bringe den Karren in Ordnung, damit der Junge damit zurechtkommt.«
    »Wann reisen Sie denn ab?«, fragte ich.
    Er schaute über die Leine mit den schweren, bleichen Wäschestücken hinweg in den Himmel. »Nächsten Monat. Mit den Royal Marines.« Mit seiner schmutzigen
Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Schon seit ich ein Junge war, träume ich davon, einmal das Meer zu sehen.« Er schaute mich an, und irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck, ein Anflug von Verzweiflung, ließ mich den Blick abwenden. Durch das Küchenfenster sah ich, wie die Frau, das Baby und die beiden Jungen uns anstarrten. Durch die verzogene, vom Ruß trübe Fensterscheibe sahen ihre Gesichter aus wie Spiegelbilder in einem trüben Teich.
    Der Hausierer folgte meinem Blick. »In der Armee verdient man gut«, sagte er. »Wenn man Glück hat.« Er warf seinen Lappen weg und ging zum Haus. »Na, dann komm. Ich habe das Buch drinnen.«
    Wir wickelten das Geschäft in dem winzigen Flur ab, dann brachte er mich zur Tür. Ich blickte stur geradeaus, um die hungrigen kleinen Gesichter nicht zu sehen, die mich ganz sicher beobachteten. Als ich aus der Haustür trat, hörte ich den großen Jungen sagen: »Was hat die Frau gekauft, Papa? Hat sie Seife gekauft? Sie roch nach Seife. Sie ist eine vornehme Dame, stimmt’s?«
    Ich ging so schnell ich konnte, ohne zu laufen. Ich wollte möglichst weit weg kommen von dem Haus und den Kindern, die mich für eine vornehme Dame hielten.
    Erleichtert atmete ich auf, als ich schließlich in die Railway Street einbog und den erdrückenden Gestank nach Ruß und Armut hinter mir gelassen hatte. Mir war das Elend nicht fremd – meine Mutter und ich hatten oft genug kaum gewusst, wovon wir uns ernähren sollten –, aber allmählich begriff ich, dass Riverton mich verändert hatte. Ohne es zu bemerken, hatte ich mich an die Wärme, die Bequemlichkeiten und den Überfluss gewöhnt, hatte angefangen, das alles als selbstverständlich hinzunehmen. Während ich durch das Dorf eilte und hinter dem Pferdewagen von Down’s Dairies die Straße
überquerte, während meine Wangen vor Kälte brannten, nahm ich mir vor, das alles niemals aufzugeben. Niemals zuzulassen, dass ich meine Stellung verlor, so wie es meiner Mutter passiert war.
    Kurz vor der Kreuzung High Street drückte ich mich unter einer Markise in einen Hauseingang und kauerte mich vor eine schwarze Tür mit einem glänzenden Messingschild. Mein Atem bildete weiße Wölkchen, während ich mein gerade erstandenes Buch unter dem Mantel hervorholte und meine Handschuhe auszog.
    Im Flur des Hausierers hatte ich kaum einen Blick darauf geworfen, geschweige denn mich vergewissert, dass es sich um den richtigen Titel handelte. Jetzt gestattete ich mir, den Umschlag näher in Augenschein zu nehmen, den Ledereinband zu berühren und mit dem Zeigefinger die erhabenen Buchstaben auf dem Rücken nachzufahren: Das Tal der Angst . Ich flüsterte die schaurigen Worte vor mich hin, dann hielt ich mir das Buch unter die Nase und sog den Duft der Tinte ein. Den Duft nach Abenteuern.
    Ich verstaute meinen kostbaren, verbotenen Besitz unter dem Futter meines Mantels und drückte ihn fest an die Brust. Mein erstes neues Buch. Das erste Mal überhaupt, dass ich etwas Neues besaß. Jetzt musste ich es nur noch in meine Schublade auf dem Dachboden schmuggeln, ohne Mr Hamiltons Verdacht zu erregen oder Nancys Argwohn zu bestätigen. Mühsam schob ich meine gefühllosen Finger wieder in meine Handschuhe, lugte mit zusammengekniffenen Augen in die vom Schnee weiße Straße, trat aus der Türnische heraus und stieß mit einer jungen Frau zusammen, die mit entschlossenen Schritten auf den Hauseingang zueilte.
    »Oh, verzeihen Sie!«, sagte ich überrascht. »Wie ungeschickt von mir.«

    Als ich aufblickte, wurden meine Wangen glühend heiß. Es war Hannah.
    »Moment …« Sie zögerte verblüfft. »Ich kenne dich doch. Du arbeitest für meinen Großvater.«
    »Ja, Miss. Ich bin Grace, Miss.«
    »Grace.« Wie schön mein Name aus ihrem

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