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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Mund klang.
    Ich nickte. »Ja, Miss.« Unter meinem Mantel pochte mein Herz schuldbewusst gegen das Buch.
    Hannah löste ihren leuchtend blauen Schal, sodass ein Stückchen lilienweiße Haut zum Vorschein kam. »Du hast uns einmal vor dem Tod durch romantische Poesie bewahrt.«
    »Ja, Miss.«
    Als sie kurz auf die Straße schaute, wo eisiger Wind die Luft in Eiskristalle verwandelte, zog sie zitternd ihren Mantel fester um sich. »Ein schreckliches Wetter, um draußen unterwegs zu sein.«
    »Ja, Miss.«
    »Ich hätte zu Hause bleiben sollen«, fügte sie hinzu, als sie sich mit von der Kälte geröteten Wangen zu mir umwandte. »Aber ich hatte mich für eine Stunde Musikunterricht angemeldet.«
    »Ich wäre auch lieber im Haus geblieben, Miss«, sagte ich, »aber Mrs Townsend hat mich hergeschickt, um etwas abzuholen. Gebäck. Für das Neujahrslunch.«
    Sie betrachtete zuerst meine leeren Hände, dann den Hauseingang, aus dem ich gekommen war. »Ein ungewöhnlicher Ort, um Gebäck zu kaufen.«
    Ich folgte ihrem Blick. Auf dem Messingschild an der schwarzen Tür stand: Mrs Doves Sekretärinnenschule . Ich sah mich um, auf der Suche nach einer Antwort. Irgendetwas, das meine Anwesenheit in diesem Hauseingang erklären konnte. Auf keinen Fall durfte ich riskieren,
dass sie das Buch entdeckte, das ich gekauft hatte. Mr Hamilton hatte sich, was die Regeln in Bezug auf Lesematerial anging, deutlich genug ausgedrückt. Aber was konnte ich ihr sagen? Wenn Hannah Lady Violet erzählte, dass ich ohne Erlaubnis Unterricht nahm, würde ich wahrscheinlich meine Stellung verlieren.
    Ehe mir eine Ausrede einfiel, räusperte Hannah sich und hantierte mit einem braunen Päckchen, das sie in der Hand hielt. »Tja«, sagte sie und ließ das Wort zwischen uns in der Luft hängen.
    Ängstlich wartete ich darauf, dass sie mir Vorhaltungen machte.
    Hannah trat von einem Fuß auf den anderen, straffte sich und sah mir direkt in die Augen. Nach kurzem Zögern sagte sie: »Tja, Grace. Sieht so aus, als hätten wir beide ein Geheimnis.«
    Ich war so verdattert, dass es mir die Sprache verschlug. Vor lauter Nervosität hatte ich gar nicht gemerkt, dass sie ebenfalls nervös war. Ich schluckte und umklammerte meinen verborgenen Schatz. »Miss?«
    Sie nickte. Dann, zu meiner großen Verblüffung, nahm sie meine Hand und drückte sie fest. »Ich gratuliere dir.«
    »Wirklich, Miss?«
    »Ja«, sagte sie nachdrücklich. »Ich weiß, was du da unter deinem Mantel versteckst.«
    »Miss?«
    »Ich weiß es, weil ich dasselbe tue wie du.« Sie zeigte auf das braune Päckchen und unterdrückte ein erregtes Lächeln. »Das sind gar keine Noten, Grace.«
    »Nein, Miss?«
    »Und ich nehme auch keinen Musikunterricht.« Ihre Augen weiteten sich. »Ich nehme zum Vergnügen Unterricht. Und das bei diesem Wetter! Kannst du dir das vorstellen?«

    Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
    Sie beugte sich verschwörerisch vor. »Was ist dein Lieblingsfach? Maschineschreiben oder Stenografie?«
    »Ich weiß nicht, Miss.«
    Sie nickte. »Ja, du hast recht, es ist albern, nach einem Lieblingsfach zu fragen. Sie sind alle gleich wichtig. « Sie lächelte. »Aber ich muss gestehen, dass mir Stenografie besonders liegt. Es hat so etwas Aufregendes. Es ist wie …«
    »Wie eine Geheimschrift?«, sagte ich und musste an die chinesische Kiste denken.
    »Ja.« Ihre Augen leuchteten. »Ja, genau. Eine Geheimschrift. Ein Geheimnis.«
    Dann richtete sie sich auf und deutete mit einem Kopfnicken auf die Tür. »Tja, ich muss los. Ich möchte Miss Dove nicht warten lassen. Du weißt ja selbst, dass sie Unpünktlichkeit überhaupt nicht leiden kann.«
    Ich machte einen Knicks und trat aus dem Schutz der Markise auf den Gehweg.
    »Grace?«
    Durch das dichte Schneetreiben schaute ich sie blinzelnd an. »Ja, Miss?«
    Sie legte ihren Zeigefinger an die Lippen. »Wir haben jetzt ein gemeinsames Geheimnis.«
    Ich nickte, und einen Moment lang schauten wir uns in die Augen, als träfen wir eine Übereinkunft, dann lächelte sie und verschwand hinter Miss Doves Tür.
     
    Am 31. Dezember, als die letzten Minuten des Jahres 1915 verstrichen, versammelten wir uns alle im Dienstbotenzimmer, um das neue Jahr zu begrüßen. Lord Ashbury hatte uns eine Flasche Champagner und zwei Flaschen Bier zugestanden, und Mrs Townsend hatte aus der geplünderten Vorratskammer ein kleines Festessen
gezaubert. Mit angehaltenem Atem beobachteten wir, wie die Zeiger auf Mitternacht zumarschierten, und als die Uhr

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