Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
Vom Netzwerk:
sich kopfschüttelnd die Schläfen. »Du wirst am Tisch bedienen, im Salon aufwarten und den Nachmittagstee servieren müssen. Und solange Miss Hannah und Miss Emmeline hier sind, musst du ihnen beim Ankleiden helfen …«
    Er zählte noch weitere Pflichten auf, aber ich hörte längst nicht mehr zu, so aufgeregt war ich über meine neuen Pflichten gegenüber den Hartford-Schwestern. Nach meiner zufälligen Begegnung mit Hannah im Dorf
war ich noch mehr als zuvor von den beiden fasziniert, vor allem von Hannah. In meiner von Groschenromanen und Detektivgeschichten beflügelten Fantasie war sie die Heldin: schön, klug und mutig.
    Damals hätte ich es nicht so ausdrücken können, aber heute verstehe ich, worin die Anziehungskraft lag: Wir waren zwei gleichaltrige junge Mädchen, lebten im selben Land und im selben Haushalt, und in Hannah sah ich all die Möglichkeiten verkörpert, die es für mich nie geben würde.
     
    Da Nancy schon am kommenden Freitag ihre erste Schicht bei der Eisenbahn übernehmen musste, blieb ihr nur sehr wenig Zeit, mich in meine neuen Pflichten einzuweisen. Nacht für Nacht wurde ich durch einen heftigen Tritt gegen ein Fußgelenk oder einen Stoß in die Rippen geweckt, weil ihr wieder etwas eingefallen war, das so wichtig war, dass es nicht bis zum Morgen warten konnte.
    In der Nacht zum Freitag rasten meine Gedanken so sehr, dass ich kaum Schlaf fand. Als ich um fünf Uhr vorsichtig die nackten Füße auf den kalten Holzboden setzte, meine Kerze anzündete und Strümpfe, Kleid und Schürze anzog, drehte sich mir der Magen um.
    In aller Eile erledigte ich meine üblichen Arbeiten, dann kehrte ich in den Dienstbotentrakt zurück und wartete. Zu nervös, um zu stricken, saß ich am Tisch und lauschte auf das Ticken der Wanduhr.
    Um halb zehn, nachdem Mr Hamilton seine Armbanduhr mit der Wanduhr verglichen und mir mitgeteilt hatte, es sei jetzt an der Zeit, den Frühstückstisch der Herrschaften abzuräumen und den jungen Damen beim Ankleiden zu helfen, konnte ich kaum an mich halten vor freudiger Erregung.

    Ihre Zimmer lagen im ersten Stock, gleich neben dem Kinderzimmer. Zaghaft klopfte ich an eine Tür – eine reine Formalität, hatte Nancy gesagt – und betrat Hannahs Zimmer. Es war das erste Mal, dass ich das Shakespeare-Zimmer zu sehen bekam. Nancy, der es schwerfiel, die Kontrolle aus der Hand zu geben, hatte darauf bestanden, das Frühstück selbst zu servieren, bevor sie sich auf den Weg zum Bahnhof machte.
    Die vergilbten Tapeten und schweren Möbel verliehen dem Zimmer eine düstere Atmosphäre. Bett, Nachttisch und Kommode waren aus mit Schnitzereien versehenem Mahagoni, und ein zinnoberroter Teppich bedeckte beinahe den gesamten Fußboden. Über dem Bett hingen drei Gemälde, die dem Zimmer seinen Namen gegeben hatten, lauter Bilder von Heldinnen des besten englischen Dramatikers aller Zeiten, hatte Nancy gesagt. Ich musste mich auf ihr Wort verlassen, denn keine der drei Frauen wirkte besonders heldenhaft auf mich: die erste kniete auf dem Boden und hielt eine mit einer Flüssigkeit gefüllte Flasche hoch, die zweite saß in einem Sessel, im Hintergrund zwei Männer, einer mit weißer, der andere mit schwarzer Hautfarbe, und die dritte stand bis zu den Hüften in einem Teich, während sich ihre von Blumen durchwirkten Haare auf dem Wasser auffächerten.
    Als ich eintrat, war Hannah bereits aufgestanden und saß in einem weißen Baumwollnachthemd an ihrer Frisierkommode, die Fußsohlen auf dem roten Teppich wie zum Gebet übereinandergelegt, den Kopf nachdenklich über einen Brief gebeugt. So still hatte ich sie noch nie erlebt. Nancy hatte die Vorhänge schon aufgezogen, und schwaches Sonnenlicht fiel durch das Schiebefenster auf Hannahs Rücken und ihre langen, flachsblonden Zöpfe. Sie hatte nicht bemerkt, dass ich ins Zimmer gekommen war.

    Ich räusperte mich, und sie blickte auf.
    »Grace«, sagte sie knapp. »Nancy hat mir schon gesagt, dass du sie vertrittst, während sie am Bahnhof ihren Dienst tut.«
    »Ja, Miss«, sagte ich.
    »Ist das nicht zu viel, wenn du neben deinen eigenen auch noch Nancys Pflichten übernehmen musst?«
    »O nein, Miss«, sagte ich. »Ganz und gar nicht.«
    Hannah beugte sich vor und flüsterte: »Du musst ja wirklich viel zu tun haben, wenn du nebenher noch Unterricht bei Miss Dove nimmst.«
    Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was sie meinte. Wer war Miss Dove, und warum sollte sie mir Unterricht geben? Dann fiel es mir wieder ein. Die

Weitere Kostenlose Bücher