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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Sekretärinnenschule im Dorf. »Ich schaffe das schon, Miss.« Ich schluckte, begierig, das Thema zu wechseln. »Soll ich Ihnen die Haare bürsten, Miss?«
    »Ja«, sagte Hannah und nickte bedächtig. »Ja, natürlich. Du hast recht, nicht darüber zu sprechen, Grace. Ich sollte vorsichtiger sein.« Vergeblich versuchte sie, ein Lächeln zu unterdrücken. Schließlich lachte sie laut. »Es ist nur … Es ist so eine Erleichterung, mit jemandem darüber reden zu können.«
    Ich nickte ernst, während ich innerlich jubilierte. »Ja, Miss.«
    Mit einem letzten, verschwörerischen Lächeln legte sie zum Zeichen der Verschwiegenheit einen Finger an die Lippen und wandte sich wieder ihrem Brief zu. Am Absender in der oberen Ecke konnte ich erkennen, dass der Brief von ihrem Vater war.
    Ich nahm eine mit Perlmutt verzierte Bürste von Hannahs Frisiertisch, trat hinter sie und schaute in den ovalen Spiegel. Da sie immer noch über den Brief gebeugt war, wagte ich es, sie eingehender zu betrachten. Das
fahle Sonnenlicht, das auf ihr Gesicht fiel, verlieh ihren Zügen etwas Ätherisches. Ich konnte das Venengeflecht unter ihrer blassen Haut erkennen, konnte sehen, wie ihre Augäpfel sich beim Lesen hin- und herbewegten.
    Als sie sich aufrichtete, wandte ich meinen Blick ab, öffnete die Schleifen am Ende ihrer Zöpfe, löste die Strähnen und begann, ihre Haare zu bürsten.
    Hannah faltete den Brief einmal und schob ihn unter die kristallene Bonbonniere auf dem Frisiertisch. Dann betrachtete sie sich im Spiegel, presste die Lippen zusammen und schaute aus dem Fenster. »Mein Bruder geht nach Frankreich«, murmelte sie erbittert. »Er zieht in den Krieg.«
    »Wirklich, Miss?«, fragte ich.
    »Er und sein Freund. Robert Hunter«, sagte sie verächtlich. Sie befühlte eine Ecke des Briefs. »Mein armer Vater weiß nichts davon. David will nicht, dass wir es ihm sagen.«
    Mit rhythmischen Bewegungen bürstete ich weiter ihr Haar und zählte im Stillen die Striche. (Nancy hatte mir eingeschärft, es müssten hundert Bürstenstriche sein, und sie würde es merken, wenn ich schummelte.) Plötzlich sagte Hannah: »Ich wünschte, ich könnte mit ihm gehen.«
    »In den Krieg, Miss?«
    »Ja«, sagte sie. »Die Welt verändert sich, Grace, und das möchte ich miterleben.« Sie hob den Kopf und schaute in den Spiegel, das Sonnenlicht glitzerte in ihren blauen Augen. Dann sagte sie, als hätte sie die Worte auswendig gelernt: »Ich möchte wissen, wie es sich anfühlt, durch das Leben verändert zu werden.«
    »Verändert, Miss?« Um nichts in der Welt konnte ich mir vorstellen, wie es möglich war, dass sie sich etwas anderes wünschte als das, was Gott ihr großzügigerweise geschenkt hatte.

    »Verwandelt, Grace. Ich will nicht mein Leben lang nur lesen und spielen und so tun als ob. Ich will leben. Ich will Erfahrungen machen, die weit über mein normales Leben hinausgehen.« Sie schaute mich mit leuchtenden Augen an. »Geht dir das nicht ebenso? Wünschst du dir nicht auch manchmal mehr, als das Leben dir bietet?«
    Ich starrte sie einen Augenblick lang an, fühlte mich geehrt, dass sie mir etwas anvertraut hatte, und war zugleich zerknirscht darüber, dass dieses Vertrauen eine Art von Freundschaft verlangte, die ich unmöglich erwidern konnte. Das Problem war, dass ich einfach überhaupt nichts begriff. Die Gefühle, die sie beschrieb, waren für mich wie eine Fremdsprache. Das Leben war gut zu mir. Wie konnte ich daran zweifeln? Mr Hamilton erinnerte mich immerzu daran, wie glücklich ich mich schätzen konnte, dass ich diese Stellung bekommen hatte, und wenn er es nicht tat, dann tat es meine Mutter. Hannah schaute mich erwartungsvoll an, doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich öffnete den Mund, meine Zunge löste sich mit einem vielversprechenden Klicken von meinem Gaumen, aber ich brachte kein Wort heraus.
    Schließlich seufzte sie, schüttelte die Schultern und lächelte enttäuscht. »Nein, natürlich nicht. Tut mir leid, Grace. Ich habe dich verwirrt.«
    Als sie sich abwandte, hörte ich mich sagen: »Ich denke manchmal, ich wäre gern ein Detektiv, Miss.«
    »Ein Detektiv?« Unsere Blicke trafen sich im Spiegel. »Du meinst wie der Inspektor Mr Bucket in Bleak House ?«
    »Mr Bucket kenne ich nicht, Miss. Ich dachte eher an Sherlock Holmes.«
    »Wirklich? Ein richtiger Detektiv?«
    Ich nickte.

    »Einer, der Spuren sucht und Verbrechen aufklärt?«
    Ich nickte erneut.
    »Na dann«, sagte sie hocherfreut, »habe ich

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