Geheime Tochter
greift wieder zum Telefon und wählt die Nummer des nächsten Drugstores.
»Hallo? Wie schnell kann ich Fotoabzüge von einer Speicherkarte machen lassen?«
Somer lächelt Krishnan an, als sie zu ihm ins Auto steigt. Sie begrüßen sich mit einem flüchtigen Kuss, und er registriert, wie gut sie aussieht. Ihr Gesicht strahlt, und ihre ärmellose Bluse bringt die kräftigen, muskulösen Arme zur Geltung.
»Cal-Pacific«, sagt sie und greift nach dem Sicherheitsgurt.
Das letzte Mal, als er seine Frau zu dem Krankenhaus fuhr, hatte sie ihre letzte Fehlgeburt. Die Erinnerung an diese Zeit in ihrem gemeinsamen Leben beunruhigt ihn jetzt. Krishnan nimmt die Interstate 280 nach San Francisco, die gemächlichere und landschaftlich schönere der beiden Schnellstraßen, und außerdem diejenige, die Somer bevorzugt. Er schielt zu ihr hinüber, während sie hinaus auf die von Bäumen bestandenen Hügel blickt.
»Ich habe einen kleinen Knoten in der Achselhöhle entdeckt«, sagt Somer und beantwortet damit die Frage, zu der er sich noch nicht durchringen konnte. »Vorletzte Woche beim Duschen. Ist bestimmt bloß eine Zyste, aber bei meiner familiären Vorbelastung wollte ich auf Nummer sicher gehen. Ich habe letzte Woche eine Mammografie machen lassen, und der Radiologe hat auffälliges Gewebe festgestellt.«
»Wer war der Radiologe?«, fragt Krishnan. »Hast du eine Kopie von den Aufnahmen? Ich könnte Jim bitten, einen Blick drauf –«
»Danke, das ist nicht nötig. Ich habe mir die Aufnahmen selbst angesehen, ich habe eine zweite Meinung eingeholt. Ich möchte eine Biopsie, nur vorsichtshalber.« Ihre Stimme ist ruhig, keine Spur von der Sorge oder Ängstlichkeit, die sie überschattete, während sie mit der Unfruchtbarkeit zu kämpfen hatten, dem letzten großen medizinischen Problem, mit dem sie zu tun hatten.
»Wer führt die Biopsie durch? Mike wird oft vom Cal-Pacific als beratender Arzt hinzugezogen. Ich könnte ihn fragen, wer der Beste ist.«
Somer blickt ihn an. »Kris«, sagt sie sanft, aber bestimmt, »du musst das nicht für mich lösen. Ich möchte dich einfach nur dabeihaben, als Unterstützung, okay?«
»Okay.« Er umklammert das Lenkrad fester und spürt, dass seine Hände feucht sind. Er greift zur Klimaanlage und kann nur mit Mühe die Ruhe bewahren, während ihm Risikofaktoren wie Schlagzeilen durch den Kopf jagen. Weiße, Mitte fünfzig, keine leiblichen Kinder, Mutter mit Brustkrebs: alles Faktoren, die Somers Risiko erhöhen. Der einzige positive Faktor ist absurderweise ausgerechnet die Tatsache, die ihnen so viel Kummer bereitet hat – ihre zwanzig Jahre zu früh eingetretene Menopause.
»Habe ich dir erzählt, dass ich letzte Woche, als du nicht da warst, eine E-Mail von Asha bekommen habe? Sie war irgendwo, das sich Elefanten-Höhle nennt.«
»Elephanta-Höhlen. Ja, ich hab ihr gesagt, die darf sie auf keinen Fall verpassen.« Krishnan lächelt. »Elephanta ist eine kleine Insel bei Mumbai. Da gibt es alte Höhlen, mit aus dem Fels herausgehauenen Skulpturen. Ist eine große Touristenattraktion. War ich nie mit dir dort?«
»Ich glaube nicht. Offenbar wimmelt es dort von Affen, und die springen auf die Touristen drauf – springen ihneneinfach auf die Schultern, weil sie was zu naschen haben wollen. Asha hat ein Foto geschickt, wie sie einen mit einer Banane füttert. Sie sah aus, als würde sie sich königlich amüsieren. Das hat mich an die Zeit erinnert, als sie klein war. Weißt du noch, dass sie ganz verrückt nach den Affen im Zoo war?«
»Hey, guck mal«, sagt sie, »Red’s Java House. Immer noch da, nach all den Jahren. Ist das zu fassen?« Somer deutet zum Fenster hinaus auf die kleine weiße Imbissbude, in der sie oft am Wochenende Burger gegessen haben, als sie noch in San Francisco lebten.
Er ringt sich ein Lächeln ab. »Ja, kaum zu glauben. Wie lang ist das her – rund zwanzig Jahre?«
»Siebenundzwanzig, damals sind wir hierhergezogen. Menschenskind. Älter als Asha. Sind wir mal mit ihr da gewesen?«
»Hmm. Ich glaube nicht. Als wir sie kriegten, konnten wir uns schon was minimal Besseres leisten.« Sie müssen beide lachen. Das fettige Essen im Red’s war nichts Besonderes, aber es kostete für sie zwei nicht mal fünf Dollar, was bei ihren Gehältern in der Facharztausbildung den Ausschlag gab. Das Lachen tut gut, und Kris spürt, dass seine verkrampften Schultern sich ein wenig lockern.
Während Somer im Krankenhaus an der Rezeption Formulare ausfüllt,
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