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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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die Somer mittlerweile versteht. Ashas Ankunft in ihrer beider Leben hat ihnen vieles beschert – Liebe, Freude, Erfüllung –, aber sie hat weder allen Schmerz ausgelöscht, den die Fehlgeburten verursachthaben, noch Somers Wunsch nach einem biologischen Kind gänzlich getilgt.
    Wenn sie mit Asha allein ist, fühlt Somer sich wie ihre Mutter und liebt sie, als sei sie ihr eigen Fleisch und Blut. Sie erzählt niemandem, dass Asha adoptiert ist. Für sie ist es irrelevant und sie will auch nicht, dass Asha, die die Unähnlichkeit nicht sieht, die für alle anderen in Ashas dunklem Haar, ihrer braunen Haut offensichtlich ist, dadurch verunsichert wird. Jetzt sieht sie Asha, die an der nächsten Ecke wartet, durch die Augen der Kinderfrau im Park. Asha hat eines ihrer dünnen braunen Beine auf eine Pedale gestützt, während das andere so gerade eben den Boden berührt. Ihr dichter schwarzer Pferdeschwanz quillt unter ihrem hellblauen Marienkäferhelm hervor. Somer sieht ihre Tochter an, die nicht annähernd wie ihre Tochter aussieht.

22
Gold Spot
    Bombay, Indien – 1990
Kavita

    Kavita atmet tief ein, als sie endlich aus dem Bus steigt. Vier Stunden lang sind sie, Jasu und Vijay dicht gedrängt mit zahllosen anderen durchgeschwitzten Menschen unterwegs gewesen, von denen die meisten für die Landschaft, durch die sie fuhren, nicht das geringste Interesse aufbrachten. Viele von ihnen nehmen diese Tortur einmal die Woche auf sich, um ihre Waren in der Stadt zu verkaufen. Obwohl sie drei Fahrkarten gekauft haben, konnte nur Kavita einen Platz ergattern. Sie hielt Vijay die ganze Zeit auf dem Schoß, während ihr langsam die Oberschenkel taub wurden. Jasu war gezwungen, neben einem Mann zu stehen, dessen Drahtkäfig voller Hühner ihm ständig gegen das Knie schlug. Keiner von ihnen beklagte sich, schließlich hingen manche Passagiere aus der Tür und andere klammerten sich am Dach des Busses fest.
    Mit drei Taschen, die ihre ganze Habe enthalten, stehen sie jetzt vor dem Busbahnhof. Vijay lehnt sich gegen Kavitas Bein, die Augen halb geschlossen. Ihr Ziel ist eine Siedlung in der Innenstadt, wo sie, wie ihnen gesagt wurde, ein oder zwei Nächte für sehr wenig Geld unterkommen können. Jetzt wollen sie sich erst mal richtig ausschlafen. Morgen machen sie sich dann auf die Suche nach einer Wohnung und Arbeit. Jasu geht voraus, in jederHand einen Koffer, und bleibt immer mal wieder stehen, um nach dem Weg zu fragen.
    Kavita folgt ihm mit einer Tasche in einer Hand und Vijays Hand in der anderen. Während sie sich durch das dunkler werdende Bombay bewegen, sieht sie erstaunt, wie sehr sich die Stadt verändert hat, seit sie vor sechs Jahren hier war. Obwohl es unmöglich scheint, drängen sich offenbar noch mehr Menschen auf den Bürgersteigen, quälen sich noch mehr Fahrzeuge durch die Straßen, füllen noch mehr Lärm und Abgase die Luft.
    Schon jetzt vermisst sie ihr Heimatdorf und wird gleichzeitig von der bitteren Erinnerung eingeholt, wie sie Usha in dem Waisenhaus zurückgelassen hat. Während diese beiden Gedanken ihr unablässig durch den Kopf kreisen, unterdrückt Kavita so gut sie kann den aufsteigenden Groll gegenüber Jasu. Er hat mich gezwungen, mein Baby wegzugeben. Und jetzt hat er mich gezwungen, mit in diese Stadt zu kommen, alles zurückzulassen, was ich liebe. Einen Moment lang verliert sie Jasu weiter vorn in dem Gedränge aus den Augen und beeilt sich, ihn einzuholen. Sie haben nur einander an diesem seltsamen neuen Ort. Sie hört die beruhigende Stimme ihrer Mutter. Du musst Vertrauen zu ihm haben. Du musst für sie beide tapfer sein.
    Als sie in Dharavi ankommen, der Siedlung, die ihnen empfohlen wurde, ist es dunkel geworden. Schockiert sehen sie kein einziges richtiges Haus, wie sie erwartet haben, sondern eine riesige Barackenstadt zwischen einem Highway auf der einen Seite und Eisenbahnschienen auf der anderen. Primitiv zusammengeschusterte Hütten aus Wellblech, Pappe und Lehm reihen sich aneinander: kleine Einzimmerhäuser aus Müll. Sie gehen langsam, um nicht in den Fluss aus Abwasser zu treten, der vor den Hütten verläuft. Kavita umklammert Vijays Hand und zieht ihnimmer wieder von den kleinen Kindern weg, die nackt herumrennen. Ein Bettler mit Beinstümpfen streckt ihr einen knochigen Arm entgegen. Ein weiterer Mann, der offensichtlich betrunken ist, grinst sie anzüglich an und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Kavita hält den Blick auf die Erde gerichtet, wo die

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