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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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Hauptgefahren weggeworfener Abfall und huschende Nagetiere sind.
    »Braucht ihr eine Unterkunft? Braucht ihr eine Bleibe?« Ein Mann, der in einem grellbunten Sari wie eine Frau gekleidet ist, fängt an, neben Jasu herzugehen. Er hat ein hübsches Gesicht, und als er lächelt, kommen zwei Goldzähne zum Vorschein. Jasu und er wechseln ein paar Worte, die Kavita nicht versteht, aber gleich darauf folgen sie dem Mann die Gasse hinunter. Er bleibt vor einer kleinen Lehmhütte stehen, die mit Plastikplanen behängt ist und ein verrostetes Blechdach hat. Als er die schiefe Tür aufdrücken will, wird sie durch irgendetwas im Innern blockiert. Im schummrigen Licht sehen sie durch den Türspalt einen Hund mit weißem Fell, so abgemagert, dass sich die Rippen mühelos zählen lassen. Der Mann im Sari schlüpft kurz aus seiner weiblichen Rolle, um den Hund mit einem Tritt nach draußen zu befördern. Dann hebt er anmutig einen Arm, als fordere er sie auf einzutreten.
    »Eine andere Familie ist erst heute Morgen ausgezogen«, sagt der Mann. »Ihr könnt hierbleiben, wenn ihr wollt. Es wird nur eine kleine Spende erbeten.« Er hält seine offene Hand hin und lächelt Jasu kokett an, der Kavita anblickt.
    »Es ist ja nur für eine Nacht«, sagt sie, um ihm die unvermeidliche Entscheidung leichter zu machen. Draußen ist es bereits stockdunkel. Sie haben einen langen Fußmarsch hinter sich, und Vijay sieht aus, als würde er jedenMoment im Stehen einschlafen. Jasu stellt die Koffer ab, fischt ein paar Münzen aus seiner Tasche und lässt sie in die wartende Hand fallen, ohne sie zu berühren, ehe er den Mann wegschickt. Jasu betritt als Erster die Hütte, muss den Kopf einziehen, um nicht gegen den Türsturz zu stoßen. Kavita und Vijay folgen ihm. Der kleine, fensterlose Raum ist leer, bis auf halb verrottete Essenreste auf dem festgetretenen Sandboden. Der Gestank von menschlichen Exkrementen schnürt Kavita den Hals zu, und sie muss würgen.
    Kavita hakt sich bei Jasu ein. »Wie wär’s, wenn du mit Vijay was zu essen besorgst und ich mache hier in der Zwischenzeit ein bisschen sauber?« Jasu nimmt Vijay mit zu den Straßenständen in der Nähe. Kavita geht nach draußen an die vergleichsweise frische Luft, um einmal tief Atem zu holen, und hält sich dann Nase und Mund mit dem Saum ihres Sari zu. Sie lehnt die Tür an, um etwas Licht hereinzulassen. Drinnen macht sie sich an die Arbeit, sammelt die Essenreste und den Abfall in einer Plastiktüte auf, die sie zusammengeknüllt in der Ecke findet. Als sie den Müll nach draußen bringt und noch einmal kurz Luft schnappt, sieht sie einen Besen an der Nachbarhütte lehnen. Sie blickt sich um, huscht hinüber, um den Besen in den Falten ihres Saris zu verstecken, und kehrt zu der Hütte zurück.
    In der Hocke arbeitet sie sich möglichst schnell durch den Raum und fegt den Sandboden, so fest sie kann. Von der Staubwolke, die sie dabei aufwirbelt, muss sie husten, und ihr tränen die Augen, aber sie macht unverdrossen weiter. Wenn sie es schafft, wenigstens die oberste Dreckschicht zu entfernen, die die Erinnerung an anderer Leute Essen und Müll und Urin birgt, wenn sie es schafft, das alles nach draußen zu befördern, dann wird die frischeErde darunter zum Vorschein kommen, die Art von Erde, die sie gewohnt ist. Als das Brennen im Hals so schlimm wird, dass sie aufhören muss, fegt sie den Haufen Dreck nach draußen und stellt den Besen zurück an seinen Platz. Sie wartet auf der Straße, bis ihre Lunge wieder frei ist und der Staub in der Hütte sich gelegt hat. Sie geht wieder hinein und atmet ein. Ja, die Luft kommt ihr sauberer vor, oder hat sie sich vielleicht bloß an den Geruch hier drin gewöhnt? Schließlich holt sie die zusammengerollte Schlafmatte hervor, die sie mitgebracht haben, und breitet sie aus, stellt die drei Taschen daneben.
    Jasu und Vijay kommen mit warmem pau-bhaji und kalten Flaschen Gold Spot wieder. Vijay trinkt ganz fasziniert seinen ersten Schluck von der Orangenlimonade, rollt sie genüsslich mit der Zunge hin und her, lässt die Kohlensäurebläschen prickeln, dann die Flüssigkeit hinuntergleiten. Diese neue Erfahrung nimmt ihn derart gefangen, dass die trostlose Umgebung ihn völlig unbeeindruckt lässt. Während sie essen, hören sie von irgendwo draußen ein Radio knistern, das gleich darauf laute Musik dudelt. Ein Liebeslied aus einem alten Hindi-Film ertönt, und Jasu fängt an, mitzusingen, erfindet irgendeinen Text, wenn er nicht mehr

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