Geheime Tochter
rasch zurückkommen, futta-fut .«
Als die Erwachsenen das Essen beendet haben, kommen Vijay und die anderen Jungs völlig verdreckt zurück. Jasugeht zu Kavita hinüber, überschreitet damit die männlich-weibliche Scheidelinie, die sie den Abend über getrennt hat. » Challo , es ist schon spät, ich denke, wir sollten uns jetzt verabschieden.« Und mit diesen Worten bricht Jasu den Bann, der sich über den ganzen Abend gelegt hat: die Illusion, dass sie sich hier mit ihren Lieben wie so oft aus irgendeinem feierlichen Anlass versammelt haben oder einfach nur so. Langsam bildet sich ein Ring von Menschen um sie herum, die ihnen auf Wiedersehen sagen wollen. Einer nach dem anderen umarmt sie, wünscht ihnen leise eine sichere Reise und verspricht, bald zu Besuch zu kommen. Schließlich sind alle gegangen und nur noch Kavitas Eltern sind da.
Kavita fällt auf die Knie und berührt mit der Stirn die Füße ihrer Mutter. Ihre Mutter zieht sie an den Schultern hoch und umarmt sie ganz fest. Sie sagt nur ein einziges Wort zu ihr, das sie mehrmals wiederholt. Shakti .
21
Ein trügerischer Frieden
Palo Alto, Kalifornien – 1990
Somer
Somer strebt auf die Anmeldung in der Eingangshalle des Lucile Packard Children’s Hospital zu, um sich nach dem Zimmer ihres Patienten zu erkundigen.
»Somer Whitman?« Ein groß gewachsener Arzt, der einen Koffer hinter sich herzieht, spricht sie an. »Somer, bist du das?« Er streckt ihr zur Begrüßung die Hand hin.
»Peter«, sagt sie überrascht. Sie kennt ihn aus der Zeit, als er Arzt im Praktikum war und sie in ihrem letzten Jahr der Facharztausbildung. »Menschenskind, wie lange haben wir uns nicht gesehen, zehn Jahre?«
»Ja, mindestens«, sagt er und fährt sich mit einer Hand durch das volle braune Haar.
»Ich habe gehört, du hast dich auf Infektionskrankheiten spezialisiert. Was machst du hier?« Somer hat ihn als gescheiten, vielversprechenden jungen Arzt in Erinnerung. In der Hinsicht sah sie sich selbst in ihm.
»Na ja, ich habe meinen Facharzt in Boston gemacht und dann noch aus Spaß zwei Jahre Tropenkrankheiten in Harvard drangehängt. Und jetzt bin ich hier als Chefarzt frisch eingestellt worden. Bin richtig froh, wieder hier zu sein.«
»Donnerwetter, Peter, echt toll«, sagt Somer.
»Danke. Ich fliege für ein paar Tage nach Istanbul, um da einen Vortrag zu halten. Bestimmt habe ich dann dieganze nächste Woche Jetlag, aber hey – die Arbeit ist interessant, auf jeden Fall besser, als ständig mit Husten und Schnupfen zu tun zu haben, was? Und du, du hast dich doch damals für Kardiologie interessiert, oder?« Er sieht sie ehrlich interessiert an. Sie erinnert sich, wie gut sie sich damals verstanden haben, dass sie ihm empfohlen hat, sich auf ein Teilgebiet zu spezialisieren.
»Na ja«, sagt sie und wappnet sich gegen seine Reaktion: »Ich arbeite drüben im Ärztezentrum in Palo Alto, also jede Menge Husten und Schnupfen.« Es ist einfach unmöglich, ihre Arbeit sexy klingen zu lassen. Die Fälle sind Routine, die Patienten geben sich die Klinke in die Hand, und das Zentrum ist notorisch unterfinanziert. »Aber hey, ich kann meine sechsjährige Tochter jeden Tag von der Schule abholen.« Sie lächelt und zuckt mit den Schultern. Blitzt da eine gewisse Enttäuschung in seinen Augen auf?
»Das ist super. Wir haben zwei Jungs, sechs und zehn. Hält einen auf Trab, was?«
»Das kannst du laut sagen.«
»Ich muss zum Flughafen, Somer, aber es war schön, dich zu sehen. Übrigens, ich werde nie vergessen, wie du diese großartige Neonataler-Lupus-Diagnose gestellt hast, als ich frisch in der Facharztausbildung war – ich habe die Geschichte schon zigmal erzählt, aber nie ohne Dr. Whitman zu erwähnen.«
Somer lächelt. »Inzwischen Dr. Thakkar. Aber freut mich, das zu hören. Es war schön, dich zu sehen, Peter.«
Während der Fahrt im Aufzug sieht Somer zu, wie die Etagenziffern nacheinander aufleuchten. Wo sind die Jahre geblieben und was ist aus der ambitionierten Medizinstudentin von einst geworden? Sie erinnert sich nochgut an ihren Wunsch, interessante klinische Fälle zu bearbeiten, Forschung zu betreiben, sich in der akademischen Welt einen Namen zu machen. Jetzt schafft sie es kaum, regelmäßig die medizinischen Fachzeitschriften zu lesen. Aufgrund ihrer Berufsentscheidungen hat sie den Anschluss an ihre aufstrebenden Kollegen verloren und dennoch kommt sie sich selbst in ihrem anspruchslosen Praxisjob manchmal vor wie eine
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