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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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Farben. Kavita bleibt mitten auf dem Bürgersteig stehen, schwer atmend, und blickt in alle Richtungen, doch es ist niemand mehr da, dem sie folgen könnte.
    »Mama?« Sie spürt, dass Vijay an ihrer Hand zieht, und blickt nach unten in seine fragenden Augen.
    » Hahnji, beta. Challo . Gehen wir.« Sie hat Angst, Vijay in dem Gedränge von Menschen zu verlieren, und behält auch die zahnlosen Bettler im Auge, die ihnen folgen. Kavita sucht weiter nach dem grünen Sari und muss an Jasus Worte gleich nach Ushas Geburt denken. Sie wird eine Belastung für uns sein, für unsere ganze Familie. Willst du das etwa? Vielleicht hatte er damals recht, vielleicht war es sogar klug von ihm. Sie kann sich schwer vorstellen, zwei Kinder zu haben, jetzt, wo noch nicht mal klar ist, dass sie für eines anständig sorgen können. Sie wandern den ganzen Tag durch die Stadt, bis Kavita so müde ist, dass sie am Abend sicher schnell einschlafen wird. Nach nur einem Tag fühlt sie sich von der Stadt erstickt, die vor Menschen und Hektik und Lärm nur so pulsiert. Ihre Lunge, die die saubere Landluft gewohnt ist, leidet unter dem Smog. Ihre Füße sehnen sich nach der feuchten, festen Erde der Felder daheim.
    Sie gehen durch die Siedlung, vorbei an Hunderten Hütten wie ihre. Sie weicht einer dreckigen Ziege aus, die mit der Nase in einem großen rauchenden Müllhaufen an der Ecke wühlt. Vor jeder Hütte sind die gleichen Dingezu sehen: ein Kochfeuer, das mit getrockneten Kuhfladen in Gang gehalten wird, ein Eimer Wasser für den Tagesbedarf und zerlumpte Kleidung, die an Leinen hängt. Einige erfinderische Bewohner haben sich raffinierte Fernsehantennen ausgedacht oder Transistorradios aufgestellt, um die sich weitere Leute versammelt haben. Kavita sehnt sich nach irgendetwas Tröstlichem: die beruhigende Hand ihrer Mutter, Rupas perlendes Lachen.
    Als Kavita und Vijay ihre Hütte betreten, ist Jasu schon da und sitzt auf dem Rand der Schlafmatte. Er massiert sich eine Fußsohle mit den Daumen. Er blickt auf, als seine Frau und sein Sohn hereinkommen. »Was ist passiert?«, fragt Kavita.
    »Ich bin bestimmt zehn Meilen in den alten Latschen da herumgelaufen.« Er deutet mit einem Kopfnicken auf seine abgetragenen chappals an der Tür. Kavita setzt sich neben ihn und nimmt seinen Fuß in die Hände.
    »Ich war bei drei Botenfirmen.« Er schließt die Augen und legt sich nach hinten auf die Matte. »Da gab’s nirgends Arbeit für mich. Sie suchen nur Männer, die sich in Bombay auskennen – Rikschafahrer oder Taxifahrer. Was soll das? Wenn ich Rikscha- oder Taxifahrer wäre, würde ich mich ja wohl nicht um einen Job als Bote bewerben.«
    » Hahnji , genau.« Kavita spricht langsam, pflichtet ihm bei, fragt sich aber, was das für sie bedeutet.
    »Dann habe ich mich nach einem Job als dabbawallah erkundigt«, fährt Jasu fort, »und wie ich mir gedacht hab, lässt sich mit dem Zustellen von Mittagessen gutes Geld verdienen. Hundert Rupien am Tag – ist das zu fassen? Aber die Liste mit Männern, die dabbawallah werden wollen, ist lang. Die haben gesagt, ich soll jede Woche nachfragen. Die haben gesagt, es könne drei, vier Monate dauern, bis eine Stelle frei würde.«

    Kavita ist unsicher, wie sie auf diese Nachricht reagieren soll. Sie beobachtet Vijay, der mit dem Finger Kreise in den Sandboden malt. Du musst Vertrauen zu ihm haben.
    »Aber die gute Nachricht ist – ich bin vor dem dabbawallah – Hauptbüro mit einem Mann ins Gespräch gekommen. Der kennt den Oberboss und kann dafür sorgen, dass mein Name auf der Warteliste ganz nach oben rutscht. Mit seiner Hilfe müsste es schnell gehen, zwei oder drei Wochen. Und ich habe ihm nur zweihundert Rupien dafür gegeben.«
    Kavita blickt ihren Mann alarmiert an. Sie sind mit insgesamt eintausend Rupien hier angekommen – ihre ganzen Ersparnisse plus Spenden von ihren Familien.
    »Keine Sorge, chakli! « Er grinst. »Das ist in Ordnung. Dieser Mann hat mir seine Papiere gezeigt, er ist ein guter Mann. Und er will mir auch ein Fahrrad besorgen für den Job. Ich kann es sofort benutzen, ohne Geld. Zunächst werde ich von meinem Verdienst das Fahrrad abbezahlen, aber sobald es mir gehört, kann ich meinen ganzen Verdienst behalten.« Jasu setzt sich auf und fasst ihre Schultern. »Guck nicht so besorgt. Das ist gut, chakli , sehr gut!« Er nimmt ihren Kopf in seine breiten Hände und drückt ihr einen Kuss ins Haar. »Es geht alles ganz schnell, genau wie ich es mir gedacht hab. Im Nu

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