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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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Hochstaplerin.
    Dann hastet sie los, um Asha von der Schule abzuholen, wo die anderen Mütter, die anscheinend alle viel Zeit gemeinsam verbringen, sie nur als »Ashas Mom« kennen. Somer hat keine Zeit für den Lehrer-Eltern-Ausschuss oder für Kuchenbasare. Sie hat keine Zeit für sich selbst. Sie definiert sich nicht länger über ihren Beruf, aber auch nicht über ihre Mutterrolle. Beides sind Teile von ihr, aber irgendwie ergeben sie kein Ganzes. Somer war immer davon ausgegangen, alles unter einen Hut bringen zu können, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie dann das Gefühl haben würde, nichts wirklich richtig zu machen. Sie redet sich ein, dass das Leben nun mal aus Kompromissen besteht und dass sie mit diesem Kompromiss ihren Frieden machen sollte, doch sie kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass es ein trügerischer Frieden ist.
    Somer sitzt auf der Bank und trinkt von ihrem warmen süßen Kaffee, während sie Asha zuschaut, die sich auf dem Spielplatz vom Klettergerüst baumeln lässt. Im letzten Jahr ist Asha wagemutig geworden – sie klettert auf alles Mögliche, lässt sich runterbaumeln und hin- und herschwingen. Ihre Kleinmädchenvorsicht ist gänzlich verschwunden, wofür ihre verschorften Knie der sichtbare Beweis sind.
    Sie kommt gern mit Asha hierher in den Park. Vor einpaar Jahren, als Asha zwei wurde, sind sie in diese Gegend gezogen. Es war schwer, San Francisco zu verlassen, die Stadt, in der sie zu dritt ihre ersten Erfahrungen als Familie gesammelt hatten. Nach Jahren voller Schmerz und Entfremdung genossen sie und Krishnan das neuartige Gefühl, eine Familie zu sein – am Wochenende fuhren sie zum Baker Beach, wo Asha sich bis an den Rand des Wassers wagte, um dann vor der nächsten Welle kreischend Reißaus zu nehmen. Somer und Krishnan fanden wieder einen Weg, Nähe zueinander aufzubauen. Ihre Gespräche drehten sich nicht mehr nur um Medizin: Sie bauten ihre angeschlagene Beziehung neu auf, und zwar um Asha herum.
    Sie hatten nicht vor, sich dem Exodus ihrer Freunde aus der Stadt anzuschließen, doch je stärker Ashas Bewegungsdrang wurde, desto mehr störten sie ihr winziger Garten und die Qualität der Schulen in ihrem Stadtteil. Als Kris ein lukratives Angebot erhielt, in einer Praxis in Menlo Park einzusteigen, einem kleinen Ort mit guten Schulen dreißig Minuten südlich von San Francisco, hielten sie Ausschau nach Häusern in der Nähe. Somer fand eine Anstellung im Ärztezentrum.
    »Asha, noch fünf Minuten«, ruft Somer mit Blick auf den Stand der Sonne.
    »Sie ist goldig«, sagt eine Frau auf der Nachbarbank. »Ich glaube, ich habe Sie beide schon mal hier gesehen. Wir kommen fast jeden Tag her.« Die Frau deutet auf einen kleinen Jungen, der im Sandkasten buddelt. »Er findet es toll hier, und ich bin immer froh, aus dem Haus rauszukommen.«
    »Ja, Asha ist auch gern hier. Gleich muss ich sie praktisch hier wegtragen.« Somer lacht.
    »Kommen Sie doch mal freitags mittags her«, sagt dieFrau. »Da mache ich mit ein paar anderen Kinderfrauen aus dem Viertel immer ein Picknick. Die Kinder spielen zusammen, und wir können Erwachsenengespräche führen.«
    Kinderfrauen? Nach einem höflichen Moment steht Somer auf und sammelt ihre Sachen ein. »Ich bin nicht ihre Kinderfrau«, sagt sie. »Ich bin ihre Mutter.«
    »Oh, tut mir leid. Ich habe angenommen … ich meine, ich dachte, weil –«
    »Schon gut«, sagt Somer in einem Tonfall, der das Gegenteil verrät. »Sie hat mehr Ähnlichkeit mit ihrem Vater, aber den Charakter hat sie von mir.« Sie stiefelt los in Richtung Asha. »Schönen Tag noch.«
    Auf dem Weg nach Hause folgt Somer ihrer Tochter, die mit dem Fahrrad ein Stück vorausfährt, und denkt darüber nach, warum der Vorfall im Park ihr so zugesetzt hat. Es kommt häufig vor, dass Leute glauben, sie und Asha wären nicht verwandt. Inzwischen müsste sie sich doch eigentlich daran gewöhnt haben. Wenn sie zu dritt unterwegs sind, stutzen die Leute oft, wenn sie Somer sehen. Sogar sie muss zugeben, wie natürlich das Bild ist, das Kris und Asha zusammen abgeben, wenn er sie auf den Schultern trägt oder sie nebeneinander in einem Restaurant sitzen. In solchen Momenten muss Somer sich gegen das Gefühl wehren, dass sie diejenige ist, die in ihre Familie adoptiert wurde.
    Auf einem Adoptionsseminar, das sie und Krishnan vor Jahren besuchten, wurde ihnen gesagt, dass Adoption nur die Kinderlosigkeit beseitigt, nicht die Unfruchtbarkeit – eine Unterscheidung,

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