Geheimes Verlangen
der Wind die Sträucher gegen die Fenster, umtost heulend das Haus. Schön, wie ihre Füße in der Luft baumeln; schön, wie sein Kopf auf ihrem Bauch ruht. Ich liebe dich. Bevor sie ihn in sich hineinlässt, möchte sie noch den Krug mit dem Eiswasser aus dem Kühlschrank holen und über sich ausgießen: An diesem heißen Tag, in diesen Augenblicken einer fast schon bewusstlosen Ekstase, möchte sie sich ihm gekühlt darbieten. Doch im Moment liegt sie nur reglos da, weiß, dass ihr feuchtes Fleisch an der Tischplatte klebt und dass es wehtun wird, sich aufzurichten. Irgendwann sagt sie: »Du hast mich noch gar nichts gefragt.«
Er sieht sie über ihren Bauchnabel und ihre Brüste hinweg an, stützt sich mit dem Kinn auf ihren Bauch. »Ich will dich auch gar nichts fragen.«
»Musst du aber – das ist unser Weihnachtsgeschenk.«
Er denkt unwillig nach, befächelt ihre Brust mit seinem Atem. Dann fragt er: »Was ist das Schlimmste, das ich dir antun könnte?«
»Mich betrügen«, sagt sie sofort. »Wenn du sagst, dass du mich liebst, dich aber verhältst, als ob das gar nicht wahr ist.«
»Das ist also für dich Betrug?«
»… Ja, das ist für mich sogar der schlimmste Betrug.«
Für seinen Kopf ist ihr Bauch ein idealer Ruheplatz – warm, von innen belebt, genau richtig, um selig zu entschlummern. Sie fährt ihm mit den Fingern durch das Haar, streichelt mit den Händen zärtlich seine Augenlider, seine Handgelenke, seine Ellbogen. »Dann kannst du dich darauf verlassen, dass ich so etwas niemals tun werde«, verspricht er ihr. »Das ist mein Weihnachtsgeschenk. Ich verspreche dir: Ich werde niemals sagen, dass ich dich liebe, wenn mein tatsächliches Verhalten dieser Aussage widerspricht.«
Sie fängt plötzlich an zu kichern, und er spürt, wie ihre Bauchdecke zuckt. Eigentlich ein bisschen undankbar, dass sie über seine Worte lacht, findet er. »Danke«, sagt sie. »Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich ein so schönes Geschenk bekommen.«
E s vergehen Monate, bis sie die erste Nacht zusammen verbringen, was in jeder anderen als in ihrer Situation völlig absurd wäre. Es ist Sommer, und als es zu regnen anfängt, steigt von der Straße ein Brandgeruch auf. Sie befinden sich in einer fremden Stadt, offiziell auf einer Art Dienstreise. Sie verdient sich den Aufenthalt, indem sie über sich spricht, seine Gegenleistung besteht darin, ihr zuzuhören. Er ist bester Laune an diesem ersten Nachmittag, bisher ist alles wunderbar gelaufen. Die kleinen Details, durch die sich ihr Hotelzimmer von seinem unterscheidet, erscheinen ihm außerordentlich faszinierend. Er öffnet den Kühlschrank, macht sich an der Zahlenkombination des Safes zu schaffen, inspiziert im Bad die Toilettenartikel: Shampoo, Haarspülung, Körperlotion. »Hier bei dir gibt es ja sogar Nähzeug«, sagt er fast ein wenig gereizt, als ob ein Stück Pappe, an dem ein Knopf, eine Nadel und etwas Garn befestigt sind, bereits ausreicht, um seinen Neid zu wecken. Sie ruft von nebenan, dass er das Nähzeug gern haben kann, wenn es ihm so viel bedeutet, doch er legt es – über sich selbst irritiert – ordentlich an seinen Platz zurück. Sicher sehr praktisch so ein Set, aber deshalb muss man es ja nicht unbedingt haben. Trotzdem: Das Bad ist gut. Der Raum erfüllt seinen Zweck, bietet alles, was man braucht. Der Boden ist mit einem dicken, grünen Teppich ausgelegt, und auch die Wände machen einen soliden Eindruck. Die schwere Tür fällt mit beruhigender Wucht ins Schloss und hat außerdem ein Guckloch. Das ganze Bad ist von jenem hoteltypischen minzeartigen Aroma erfüllt, das besagt: Nichts bleibt, alles ist vergänglich. Alles schön und in bester Ordnung, die Räumlichkeiten könnten eigentlich kaum geeigneter sein – trotzdem ist er nervös. Schon seit Monaten haben die beiden auf diese Nacht gewartet. Doch er ist zögerlich, hält sich im Bad auf, wie er es schon als Jugendlicher gern tat, wenn er Angst hatte, und versucht, sein Spiegelbild dazu zu bringen, der Welt an seiner Stelle die Stirn zu bieten. Wenn man einen Fehler macht, muss man auch dafür geradestehen. In den vergangenen Monaten sind sie sich immer nähergekommen, aber die Vorstellung, mit ihr eine Nacht zu verbringen, zieht ihm fast den Boden unter den Füßen weg. Eine gemeinsame Nacht, das hat eine ganz neue Qualität, das ist wie ein Versprechen – eine Art Unterschrift.
Sie liegt auf dem Bett, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Sie hat einen langen Tag
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