Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
vorbereiten können. Während er den Salon durchquerte, ohne auch nur über einen einzigen bockigen Hocker zu stolpern, fiel ihm plötzlich ein breiter Strahl Sonnenlicht mitten ins Gesicht. Gabriel blieb stehen, wankte wie vom Schlag gerührt und riss eine Hand hoch, um sein Gesicht vor der verwirrenden Wärme zu schützen. Instinktiv kniff er die Augen zu, doch das fröhliche Vogelgezwitscher und die nach Flieder duftende Brise, die zärtlich über seine Haut strich, konnte er nicht aussperren.
Einen Minute lang meinte er, er läge noch in seinem Bett und träumte. Glaubte, wenn er die Augen öffnete, würde er auf einer leuchtend grünen Wiese ruhen und über sich in die seidig weißen Blüten eines Birnbaumes blicken. Doch als er seine Augen dann tatsächlich öffnete, war es noch immer Nacht – trotz der trügerischen Wärme der Sonne auf seinem Gesicht.
»Beckwith!«, brüllte er.
Jemand tippte ihm auf die Schulter. Ohne nachzudenken, fuhr Gabriel herum, um seinen Angreifer zu packen. Obwohl er in die Luft griff, verriet ihm der Zitronenmelissenduft, der ihn plötzlich in der Nase kitzelte, wer es sein musste.
»Hat Ihnen nie jemand beigebracht, dass es von außergewöhnlich schlechten Manieren zeugt, sich an einen Blinden heranzuschleichen?«, fragte er gedehnt.
»Gefährlich ist es auch, wie mir scheint.« Selbst wenn die zu vertraute Stimme nichts von ihrer gewohnten Schroffheit vermissen ließ, klang sie auch ein wenig atemlos, was seltsamerweise seinen Puls beschleunigte.
Darum bemüht, mehr als nur sein Temperament zu zügeln, wich Gabriel mehrere Schritte zurück. Da es ihm unmöglich war, der verführerischen Wärme des Sonnenlichts zu entkommen, wandte er die linke Seite seines Gesichts absichtlich von ihrer Stimme ab. »Wo, zum Teufel, treibt sich Beckwith denn herum?«
»Ich weiß nicht recht, Mylord«, bekannte seine Pflegerin, »aber irgendetwas stimmt heute Morgen nicht – vielleicht geht eine Krankheit um. Das Frühstück ist nicht fertig, und die meisten Dienstboten sind offensichtlich noch zu Bett.«
Er breitete die Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse, ohne an einen einzigen Gegenstand zu stoßen. »Dann sollte die Frage vermutlich passender lauten: Wo sind meine Möbel? «
»Ach, machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Sie sind noch alle da. Wir haben nur die meisten Stücke an die Wand gerückt, sodass sie Ihnen nicht länger im Weg stehen.«
» Wir? «
»Nun, zum größten Teil war ich es allein.« Eine dankenswerte Sekunde klang sie genauso verwirrt, wie er sich fühlte. »Allerdings sieht es so aus, als hätten die Dienstboten sich zum Helfen entschlossen, nachdem ich zu Bett gegangen war.«
Gabriel ließ ein übertrieben geduldiges Seufzen hören. »Wenn alle Zimmer genau gleich sind, wie soll ich denn dann wissen, ob ich im Empfangssalon bin oder in der Bibliothek? Oder gar auf dem Komposthaufen hinter dem Haus?«
Einen segensreichen Augenblick war es ihm tatsächlich gelungen, sie sprachlos zu machen. »Himmel, dieser Gedanke ist mir nie gekommen!«, erklärte sie schließlich. »Vielleicht sollten wir von den Lakaien in jedem Zimmer ein Möbelstück als Erkennungsmerkmal in die Mitte schieben lassen.« Ihre Röcke raschelten, als sie um ihn herumging und schon wieder neue Pläne schmiedete. Gabriel drehte sich mit ihr, wobei er seine rechte Seite immer auf Höhe ihrer Stimme hielt. »Wenn wir die scharfen Kanten und Ecken abpolstern, könnten Sie durchs Haus gehen, ohne irgendwelche Verletzungen zu riskieren. Besonders wenn Sie zählen lernen.«
»Ich darf Ihnen versichern, Miss Wickersham, dass ich bereits im Kinderzimmer das Zählen gelernt habe.«
Jetzt seufzte sie. »Ich meinte, Ihre Schritte zu zählen. Wenn Sie sich die Zahl der Schritte merken, die Sie benötigen, um von einem Raum zu andern zu gehen, müssten Sie sich leichter zurechtfinden und hätten somit mehr Einfluss auf Ihr Leben.«
»Das wäre eine angenehme Abwechslung. Seit Sie Ihren Fuß in dieses Haus gesetzt haben, habe ich den besagten Einfluss nämlich offenbar zur Gänze verloren.«
»Warum tun Sie das?«, erkundigte sie sich abrupt, und aufrichtige Neugier schwang in ihrer Stimme mit, verlieh ihr einen weicheren Klang.
Er runzelte die Stirn und versuchte, den leisen Schritten zu folgen, während sie weiter um ihn herumging. »Was tun?«
»Sich von mir abwenden, wenn ich mich bewege. Wenn ich nach links gehe, wenden Sie sich nach rechts – und umgekehrt.«
Er verkrampfte
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