Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
leise hinter sich zuzog, trat Samantha vor; sie trug noch immer ihre blutbefleckte, zerknitterte Reisekleidung. Mit angehaltenem Atem wartete sie, ob er ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte.
Der Blick des Arztes wanderte über die ernsten Mienen. »Ich glaube, ich habe die Blutung gestoppt. Die Scherbe hat seine Schlagader angeritzt. Wäre der Schnitt einen Zentimeter tiefer gegangen, wäre er jetzt nur ein weiterer Name auf der Tafel an der Familiengruft der Fairchilds.« Der Arzt schüttelte den Kopf; seine langen weißen Schnurrbarthaare verliehen ihm das Aussehen einer alten Ziege. »Er ist ein Glückspilz, wirklich. Jemand im Himmel muss sehr gut auf ihn aufgepasst haben.«
Obwohl sich unter ihnen allen Erleichterung breit machte, konnte keiner der Dienstboten Samantha in die Augen schauen. Sie wusste genau, was sie dachten. Sie war die Pflegerin ihres Herrn. Sie war es, die auf ihn hätte aufpassen müssen. Stattdessen hatte sie ihn allein gelassen, ihn in dem Augenblick im Stich gelassen, als er sie am nötigsten gebraucht hatte.
Als ob er ihre Gedanken lesen könnte, erkundigte sich der Arzt barsch: »Sind Sie seine Pflegerin?« Darum bemüht, nicht zusammenzucken, nickte Samantha. »Ja.«
Er rümpfte die Nase. »Ein junges Ding wie Sie sollte auf der Suche nach einem Ehemann sein und sich nicht in irgendeinem Krankenzimmer vergraben.« Er ließ seine Tasche aufschnappen, holte eine kleine braune Flasche heraus und reichte sie ihr. »Geben Sie ihm etwas hiervon, damit er die Nacht durchschläft. Halten Sie die Wunde sauber. Und sorgen Sie dafür, dass er mindestens drei Tage das Bett hütet.« Der Arzt zog seine buschigen weißen Augenbrauen zusammen. »Das wird ja wohl nicht zu schwer für Sie sein, oder, mein Kind?«
Urplötzlich stand Samantha ein Bild vor Augen, wie sie und Gabriel sich nackt auf scharlachroter Seide wälzten, und sie spürte zu ihrem Entsetzen, dass sie rot wurde. »Natürlich nicht, Sir. Ich werde mich darum kümmern, dass er sich all Ihren Wünschen fügt.«
»Tun Sie das, Miss, dann ist der junge Bursche in kürzester Zeit wieder auf den Beinen.«
Mit einem vernehmlichen Schnappen schloss er seine Tasche und schritt die Treppe hinunter. Die Dienstboten folgten erleichtert und mit fröhlicheren Mienen.
Wie stets die Diskretion in Person, wartete Beckwith, bis alle außer Hörweite waren, ehe er zu Samantha trat. »Möchten Sie immer noch, dass ein Lakai Ihre Taschen nach unten bringt, Miss?«
Sie blickte dem Butler suchend in die sanften braunen Augen, konnte aber nicht den geringsten Hinweis entdecken, dass er sich über sie lustig machte. »Ich denke, das wird nicht nötig sein, Beckwith. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen«, fuhr sie fort und drückte ihm dankbar den Arm, »ich glaube, Ihr Herr braucht mich.«
Samantha verbrachte die Nacht damit, Gabriel wirklich zu pflegen – sie überprüfte seine Verbände auf frisches Blut, verabreichte ihm einen Löffel Laudanum, wenn er zu stöhnen und sich unruhig hin und her zu werfen begann, und legte ihm zärtlich immer wieder die Hand auf die Stirn, um zu sehen, ob er fieberte. Gegen Morgen stahl sich langsam wieder etwas Farbe in seine Wangen zurück. Erst da wagte sie es, den Kopf an die Lehne des Polsterstuhles zu legen, den sie sich ans Bett gestellt hatte, und ihre müden Augen zu schließen.
Als ein schüchternes Klopfen an der Tür zu vernehmen war, schrak sie auf. Sonnenlicht strömte durch das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Erschreckt blickte sie sich zu Gabriel um, doch der schlief tief und fest, seine Brust hob und senkte sich in gleichmäßigem Rhythmus. Wären die dunklen Stellen unter seinen Augen nicht gewesen, hätte niemand vermutet, dass er vor wenigen Stunden noch auf der Schwelle des Todes gestanden hatte.
Samantha öffnete die Tür und entdeckte Peter, eine Waschschüssel mit Lappen und einen Krug mit dampfendem Wasser in den Händen. Der junge Lakai schaute unsicher zum Bett, dann wieder sie an. »Entschuldigen Sie, wenn ich störe, Miss. Mrs. Philpot schickt mich; ich soll den Herrn waschen.«
Samantha warf einen Blick über die Schulter. Gabriel wirkte im Schlaf nicht weniger einschüchternd als wach. Aber sie würde nicht noch einmal ihre Pflichten vernachlässigen. Denn das hatte ihn schließlich beinahe das Leben gekostet.
Ihr Zögern einfach hinunterschluckend, sagte sie: »Das wird nicht nötig sein, Peter.«
»Phillip«, verbesserte er
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