Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
schwungvolle Handschrift einer Frau bedeckte das Leinenpapier. Der Brief trug als Datum den 20 . September 1804 , fast ein Jahr vor Trafalgar. Bei aller Eleganz waren die Worte übertrieben schräg geschrieben.
Mein liebster Lord Sheffield,
in Ihrer letzten ziemlich anmaßenden Nachricht behaupteten Sie, mich wegen meiner »vollen Lippen« zu lieben und meiner »rauchig blauen Augen«. Dennoch fühle ich mich genötigt zu fragen: »Werden Sie mich immer noch lieben, wenn eben diese Lippen nicht leidenschaftlich gespitzt, sondern vom Alter faltig sind? Werden Sie mich noch lieben, wenn das Blau meiner Augen verblasst ist, nicht aber meine Zuneigung zu Ihnen, die ungemindert bleibt?« Ich kann Sie beinahe lachen hören, während Sie durch Ihr Stadthaus schreiten, Ihren Dienstboten Anweisungen mit der Arroganz erteilen, die ich ebenso unerträglich wie auch unwiderstehlich finde. Zweifellos werden Sie Ihren Abend darauf verschwenden, irgendeine geistreiche Antwort zu verfassen, die dazu angetan ist, mich zu becircen und zu entwaffnen.
Tragen Sie diesen Brief in Ihrem Herzen, Mylord, denn Sie weilen auf ewig in meinem.
Ihre
Cecily March
Cecily hatte der Versuchung nicht widerstehen können, ihren Namen schwungvoll unter den Brief zu setzen, sodass sich in dem verschnörkelten Schriftzug nun ihre Jugend verriet. Samantha zerknüllte den Brief in der Hand. Sie verspürte kein Mitleid mit dem Mädchen, nur Verachtung für das dumme junge Ding. Ihre neckischen Versprechen hatten einen zu hohen Preis gefordert. Sie war nicht besser als ein edles Fräulein aus dem Mittelalter, das ihrem Ritter ihr seidenes Tuch als Liebespfand um den Arm bindet, um ihn dann in die Schlacht und in den sicheren Tod zu senden.
Die Briefe zusammenschiebend, erhob sich Samantha und ging zum Kamin. Sie wünschte sich nichts mehr, als sie zu Asche zu verbrennen, wie sie es verdienten, so zu tun, als ob das oberflächliche, eingebildete Mädchen nie gelebt hätte. Aber als sie sich anschickte, sie in die flackernden Flammen zu werfen, hielt etwas sie zurück.
Sie dachte an die langen Monate, die Gabriel sie gehütet hatte, die Eifersucht, mit der er sie vor neugierigen Blicken bewahrt hatte, den hilflosen Hunger in seiner Miene, als er ihren Duft eingeatmet hatte. Es war fast so, als würde ihre Vernichtung das Opfer mindern, das er gebracht hatte, um das Herz der Verfasserin zu gewinnen.
Sie drehte sich um und ließ ihre Augen durch die schmale Kammer schweifen. Sie hatte nach Gabriels Unfall ihre Reisetruhe nie mehr ganz ausgepackt, da sie es einfacher fand, aus der Truhe zu leben, als alles wieder in dem hohen Schrank in der Zimmerecke zu verstauen. Sie kniete sich neben die mit Leder bespannte Kiste und schob die Briefe wieder in das Band, das sie dann achtlos verknotete. Sie legte sie in die Truhe, und zwar so tief unten, dass niemand sie zufällig finden konnte.
8
Meine liebste Cecily,
es fällt mir schwer zu glauben, dass Ihre Mutter Ihren
Vater nicht mit seinem Vornamen anzusprechen
wagte, bis sie ihm fünf Kinder geboren hatte …
Als Samantha am nächsten Morgen Gabriels Schlafzimmer betrat, fand sie ihn vor dem Ankleidetischchen, ein Rasiermesser an der Kehle.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Nein, Mylord! Tun Sie es nicht! Heute lasse ich Sie ganz bestimmt aus dem Bett. Versprochen!«
Gabriel drehte sich zu dem Klang ihrer Stimme um, ohne das Rasiermesser zu senken. »Wissen Sie, was einer der größten Vorteile ist, blind zu sein?«, fragte er augenzwinkernd. »Man braucht keinen Spiegel mehr zum Rasieren.«
Es mochte ja stimmen, dass er keinen Spiegel brauchte, doch das hielt die glänzende Oberfläche über dem Ankleidetisch nicht davon ab, seine Züge liebevoll abzubilden. Wie gewöhnlich hatte er sich nicht die Mühe gemacht, die Knöpfe an seinem Hemd zu schließen. Das elfenbeinfarbene Leinen klaffte auf, gab großzügig den Blick frei auf ein Stück breite, goldbestäubte Männerbrust und den Ansatz eines muskulösen Bauches.
Samantha marschierte durch den Raum und legte ihre kleine Hand auf seine große, um ihn zu hindern, sich die Rasierklinge erneut ans Kinn zu halten. »Geben Sie das mir, bevor Sie sich die Kehle aufschlitzen. Zum wiederholten Mal.«
Er weigerte sich loszulassen. »Und wieso sollte ich glauben, dass Sie das nicht einfach für mich erledigen wollen?«
»Wenn ich Sie einen Kopf kürzer mache, dann kürzt mir Ihr Vater sicher das Gehalt.«
»Oder er verdoppelt es.«
Sie zog stärker,
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