Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
ersten Gardenien der Saison.
Gabriel zog den Stuhl unter dem Schreibtisch hervor, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. »Los«, verlangte er und nickte ihr aufmunternd zu. »Wenn Sie sie laut lesen, haben wir beide etwas zu lachen.«
Samantha spielte mit den Enden des Seidenbandes – eines Bandes, das einmal durch die vollen Locken einer Frau gewunden gewesen war. »Ich glaube kaum, dass es recht ist, wenn ich Ihre private Korrespondenz lese.«
Er zuckte die Schultern. »Wie Sie wollen. Manche Stücke wirken ohnehin besser, wenn sie aufgeführt werden, statt nur gelesen. Warum fange ich nicht einfach mit dem ersten Akt an?« Er verschränkte die Arme und legte sie auf die Stuhllehne, seine Miene hart und kühl.
»Der Vorhang hob sich vor drei Jahren, als wir uns während der Saison bei einer Hausgesellschaft auf Lord Langleys Landsitz kennen lernten. Sie war so ganz anders als die anderen Mädchen, die ich kannte. Die meisten von ihnen hatten keinen vernünftigeren Gedanken in ihrem hübschen Kopf, als sich unter allen Umständen einen wohlhabenden Ehemann zu angeln, bevor die Saison zu Ende ging. Sie aber war warmherzig und klug, witzig und belesen. Mit ihr konnte man sich über Poesie und Politik gleichermaßen angeregt unterhalten. Wir haben nur einmal getanzt, und ohne mir auch nur einen Kuss zu gewähren, hat sie mir mein Herz gestohlen.«
»Und haben Sie auch das ihre gestohlen?«
Seine Lippen verzogen sich zu einem reumütigen Halblächeln. »Ich habe mir ernsthaft Mühe gegeben. Aber leider ist mir mein Ruf eines Lebemanns und Frauenhelden vorausgeeilt. Da ich ein Earl bin und sie die Tochter eines einfachen Barons, konnte sie nicht glauben, dass ich nicht bloß mit ihren Gefühlen spielen wollte.«
Samantha wusste nicht, ob sie dem Mädchen daraus einen Vorwurf machen konnte. Der Mann auf dem Porträt in der Galerie hatte vermutlich mehr als die ihm zustehende Anzahl von Herzen erobert … und gebrochen. »Eigentlich hätte ich gedacht, sie und ihre Familie wären überglücklich, die Aufmerksamkeit eines so angesehenen – und reichen – Edelmannes errungen zu haben.«
»Ich auch«, gestand Gabriel. »Aber es scheint, dass ihre ältere Schwester in einen unglückseligen Skandal verwickelt war, in dem ein Viscount, ein Rendezvous bei Mondschein und die erboste Gattin des Viscounts eine Rolle spielten. Der sehnlichste Wunsch ihres Vaters war daher, dass seine jüngere Tochter einen soliden Gutsherrn oder vielleicht gar einen Kirchenmann heiratete.«
Flüchtig erschien vor Samanthas Auge das Bild von Gabriel in dem Talar eines Pfarrers – eine Vorstellung, die sie zum Lachen reizte. »Ich kann verstehen, warum Sie in diesem Fall so etwas wie eine Enttäuschung für ihn dargestellt haben.«
»Genau. Da ich sie weder mit meinem Titel noch mit meinem Charme umstimmen konnte, begann ich, sie mit Worten zu umwerben. Mehrere Monate lang schickten wir einander Briefe.«
»Im Geheimen, natürlich.«
Er nickte. »Wäre es bekannt geworden, dass sie im Briefwechsel mit einem Gentleman stand, besonders mit einem von meinem Ruf, wäre es um ihren guten Namen geschehen gewesen.«
»Dennoch war es ein Risiko, das sie bereitwillig eingegangen ist«, betonte Samantha.
»In Wahrheit, denke ich, haben wir beide den Reiz des Spiels genossen. Wir trafen uns manchmal zufällig auf einem Ball oder einer Abendgesellschaft, murmelten ein paar höfliche Bemerkungen und heuchelten ansonsten Gleichgültigkeit. Niemand wusste, dass ich mich danach sehnte, sie in den nächsten mondbeschienenen Garten oder versteckten Alkoven zu ziehen und sie bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen.«
Der heisere Ton in seiner Stimme sandte einen dunklen Schauer durch Samanthas Körper. Obwohl sie sich bemühte, gegen die Versuchung anzukämpfen, sah sie, wie sich Gabriel mit der Hand durch sein goldbraunes Haar fuhr, während er in einem dämmerigen Alkoven auf und ab schritt. Sie sah seine Augen in Vorfreude aufleuchten, wenn er den Gardenienduft des Parfums seiner Liebsten einatmete. Sie spürte die Kraft seiner Arme um sich, wenn er sie packte und zu sich hinter den Vorhang zog. Hörte ihn tief in der Kehle aufstöhnen, wenn ihre Lippen oder ihre Körper sich streiften, verzehrt von der unwiderstehlichen Lust am Verbotenen.
»Man hätte meinen können, dass mir eine so unschuldige Verbindung bald langweilig geworden wäre. Aber ihre Briefe verhexten mich.« Er schüttelte den Kopf, sah aufrichtig erstaunt aus. »Ich hätte
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