Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
Speisesaal schritt, zog Samantha ihre hässliche Brille aus der Rocktasche und setzte sie sich fast trotzig auf.
Obwohl kein einziger Diener zu sehen war, konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, beobachtet zu werden – als öffneten und schlössen sich Türen lautlos hinter ihr. Als sie am Empfangssalon vorbeiging, hätte sie schwören können, ein wehmütiges Seufzen zu hören, gefolgt von Elsies Kichern, rasch erstickt. Sie wirbelte herum und entdeckte, dass die Salontüren einen Spaltbreit offen standen. Der dunkle Raum dahinter schien verlassen.
Sie traf im Speisezimmer ein, als die Standuhr gerade acht zu schlagen begann. Die schweren Mahagonitüren waren geschlossen. Samantha zögerte, unsicher, wie sie empfangen werden würde, was auf sie zukam. Gabriel musste sich neulich wie ein Bettler vorgekommen sein, als er darauf wartete, dass sie ihn hereinrief.
Um Contenance bemüht, zog sie ihre Stola zurecht und klopfte dann entschlossen an die Tür.
»Herein!«
Samantha folgte der heiseren Aufforderung – um am Kopfende des Tisches inmitten von flackerndem Kerzenlicht den jungen Märchenprinzen aus dem Porträt zu entdecken.
13
Meine liebste Cecily,
ich sollte dich warnen; wenn du mich zur Kühnheit
ermutigst, dann geschieht das auf eigene Gefahr …
Der Mann am Kopfende des langen Tisches hätte einem jeden Speise- oder Empfangssalon in London zur Ehre gereicht. Von der funkelnden Diamantnadel, welche die tadellosen Falten seines schneeweißen Halstuches zusammenhielt, bis hin zu den baumelnden Lederquasten an seinem zweitbesten Paar Stiefel bot er einen Anblick, der jeden Kammerdiener mit Stolz erfüllen würde. Der Spitzenbesatz seines Hemdes und seiner Manschetten wurde perfekt umrahmt von einem dunkelblauen Überrock und einem Paar biskuitfarbener Hosen, die seine Hüften wie eine zweite Haut umschlossen.
Sein unmodisch langes Haar war mit einem Samtband im Nacken gebunden, was sein kräftiges Kinn und seine Wangenknochen betonte. Der Kerzenschein glättete die scharfen Zacken seiner Narbe, verbarg die Leere in seinem Blick.
Samantha schnürte es die Kehle ab, als eine Sehnsucht sie erfasste, die sie sich nicht leisten konnte.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht warten lassen, Mylord«, erklärte sie und machte einen Knicks, den er nicht sehen konnte. »Ich hatte geplant, bei der Dienerschaft zu speisen. Wohin ich schließlich gehöre.«
Sein rechter Mundwinkel zuckte. »Das wird nicht nötig sein. Heute Abend sind Sie nicht meine Pflegerin, sondern mein Gast.«
Vorsichtig bewegte sich Gabriel zu dem Stuhl zu seiner Rechten und zog ihn unter dem Tisch vor, eine Augenbraue einladend hebend. Samantha zögerte; sie wusste, sie wäre viel sicherer, wenn sie am anderen Ende des Tisches säße, außerhalb seiner Reichweite. Doch Gabriels Miene war von so jungenhafter Hoffnung, dass sie nicht anders konnte – sie ging zu ihm. Als er sich vorlehnte, um den Stuhl für sie zurechtzurücken, war sie sich überdeutlich der Kraft in seinen muskulösen Armen bewusst, der Hitze, die seine breite Brust verströmte.
Er nahm auf seinem eigenen Stuhl Platz. »Ich hoffe, Sie haben keine Einwände gegen das Worcester-Porzellan. Ich fürchte, das von Wedgewood ist einem unglückseligen Unfall zum Opfer gefallen.«
Um Samanthas Lippen zuckte es. »Wie überaus bedauerlich.« Sich umsehend bemerkte sie, dass das Sideboard leer war und der Tisch mit dem Tischtuch aus feinstem Leinen mit verschiedensten Gerichten gedeckt war, die sich alle leicht erreichen ließen. Sie betrachtete argwöhnisch einen Teller mit köstlich frischen Erdbeeren. »Ich sehe niemanden, der uns bedient. Haben Sie den restlichen Dienstboten ebenfalls frei gegeben?«
»Ich dachte, sie haben sich eine Pause von ihren anstrengenden Pflichten verdient. Diese Woche waren sie sehr fleißig.«
»Das kann ich mir denken. Es muss schon Stunden gedauert haben, allein dieses Kleid zu nähen.«
»Glücklicherweise ist der Stoffbedarf für die neue Mode sehr begrenzt, sodass Meg in der Lage war, das Kleid fertig zu stellen, ohne mehr als ein oder zwei schlaflose Nächte zu erleiden.«
»Und wie viele schlaflose Nächte haben Sie erlitten, Mylord?«
Statt einer Antwort griff Gabriel nach der Flasche Claret, die zwischen ihnen stand. Samantha nahm sich rasch ihre Serviette und befürchtete schon das Schlimmste, doch seine Finger schlossen sich ohne Zwischenfall um den anmutigen Flaschenhals. Mit vor Erstaunen offenem Mund verfolgte sie, wie er ihnen
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