Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
zurückziehen.«
»Gehen Sie noch nicht. Ich möchte Ihnen zuerst noch etwas zeigen.«
Unfähig, ihm seine Bitte abzuschlagen, erhob sich Samantha und legte ihre Hand auf die seine, konnte jedoch ihren Argwohn nicht abschütteln. Seinen Gehstock benutzend, geleitete er sie aus dem Speisesalon einen langen schattigen Flur hinunter zu einer vergoldeten Flügeltür, die ihr nie zuvor aufgefallen war.
Er tastete nach den Messingklinken und stieß die Türflügel auf.
»Himmel!«, hauchte Samantha, die ein Bild direkt aus ihren Träumen vor sich sah.
Es war der Ballsaal, den sie bei ihrer ersten Erkundung des Herrenhauses entdeckt hatte. Aber statt von der Empore in ihn hinabzublicken, befand sie sich im Mittelpunkt seiner Pracht. Jede Kerze in den schimmernden Kerzenständern war entzündet worden, warf ihren Schein auf die blau glasierten venezianischen Fliesen. Eine Reihe Bogenfenster im französischen Stil gingen auf den mondhellen Garten hinaus.
Gabriel lehnte seinen Gehstock gegen die Wand. Hier brauchte er ihn nicht. Es gab keine Möbel, über die er stolpern, oder zierliche Porzellanfiguren, die er zerbrechen konnte.
»Darf ich Sie um das Vergnügen dieses Tanzes bitten, Gnädigste?«, fragte er und bot ihr seinen Arm.
»Sie haben geübt, nicht wahr?«, sagte Samantha vorwurfsvoll. Es fielen ihr plötzlich wieder die geheimnisvolle Musik und der rätselhafte Krach ein, die sie aus dem Salon gehört hatte. »Ich dachte schon, Mrs. Philpot und Mr. Beckwith hätten sich zu einem mitternächtlichen Stelldichein getroffen.«
Gabriel lachte, während er sie in die Mitte der glänzenden Tanzfläche führte. »Ich bezweifle, dass ich ihnen dazu die nötige Kraft gelassen habe. Beckwith und ich sind öfter mit den Köpfen zusammengestoßen, als ich zählen mag; und Mrs. Philpots arme Zehen hätten sich nie erholt, wenn ich nicht in Socken statt Stiefeln getanzt hätte. Wir haben nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass ich eine erbärmliche Enttäuschung bei Menuetten und Ländlern bin.«
»Wenn Sie Ihre Partnerin nicht spüren können«, begann sie, als ihr wieder seine Worte von vorhin einfielen.
»… kann ich meine Partnerin nicht finden. Was der Grund dafür ist, weswegen ich den größten Teil der Nacht gestern mit Beckwith Walzer getanzt habe.« Er seufzte. »Es ist eine Schande, dass Mrs. Philpot nicht Walzer tanzt.«
»Walzer?«, wiederholte Samantha, unfähig, ihr Entsetzen zu verbergen. »Himmel, der Erzbischof persönlich hat ihn als Gipfel der Sittenlosigkeit bezeichnet.«
Gabriels Augen funkelten belustigt. »Stellen Sie sich nur vor, was er gedacht hätte, wenn er mich mit meinem Butler tanzen gesehen hätte.«
»Selbst der Prinz von Wales erklärt, es sei völlig unanständig für einen Mann, eine Frau so dicht an sich gedrückt zu halten. Solche Nähe zwischen Tanzpartnern kann nur zu unschicklichem Benehmen führen.«
»Ach ja?«, murmelte Gabriel und klang erheblich mehr fasziniert als abgestoßen. Er verschränkte seine Finger mit ihren und zog sie noch näher zu sich.
Samanthas Atem ging abgehackt, als wäre sie schon mehrmals durch den Saal gewirbelt. »So ein moderner Tanz mag in Wien oder Paris akzeptiert sein, Mylord, aber er ist in jedem Londoner Ballsaal verboten.«
»Wir sind aber nicht in London«, erinnerte Gabriel sie und nahm sie in die Arme.
Er nickte in Richtung Galerie für die Musiker. Als ein nicht zu sehender Diener das Cembalo zu spielen begann, legte ihr Gabriel die Hand auf den Rücken und bewegte sich mit ihr zu den zarten Tönen von »Barbara Allen« im Takt. Die sehnsüchtige Ballade über verpasste Gelegenheiten und verlorene Liebe war schon immer eines von Samanthas Lieblingsliedern gewesen. Sie hatte es nie zuvor als Walzer gehört, aber es passte perfekt zu dem gleitenden Dreivierteltakt des Tanzes.
Als sein Körper sich in den unwiderstehlichen Rhythmus fand, gewann Gabriel seine angeborene Anmut zurück. Er schloss die Augen, und andere, noch köstlichere Empfindungen kehrten ebenfalls zurück – die Erregung, einen warmen Frauenkörper an den seinen zu drücken, das seidige Rascheln ihrer Röcke, das Vertrauen, mit dem sie sich seiner Führung überließ. Zum ersten Mal seit Trafalgar beklagte Gabriel den Verlust seiner Sehkraft nicht. Mit Samantha im Arm durch den Ballsaal tanzend, fühlte er sich wieder ganz und komplett.
Den Kopf mit einem übermütigen Lachen in den Nacken werfend, wirbelte Gabriel mit ihr mehrmals durch den Saal.
Zu dem
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