Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
Balken besser erkennen zu können. Bildete sie es sich nur ein, oder bewegte sich da wirklich etwas? Was, wenn Gabriel hier doch Unterschlupf gefunden hatte? Was, wenn er sich irgendwie verletzt hatte und auf ihren Ruf nicht antworten konnte? Sie trat näher und erschauerte, als sie mit dem Kopf in ein riesiges Spinnennetz geriet.
»Ist irgendjemand hier?«, fragte sie flüsternd und schwang die Lampe vor sich.
Die Schatten explodierten in Bewegung. Samantha taumelte rückwärts, umschwirrt von wild schlagenden, ledernen Flügeln und hohen Schreien. Als die aufgescheuchten Fledermäuse ihren Ruheplatz verließen und zu der offenen Bodentür schwärmten, hob sie unwillkürlich die Arme, um ihr Haar und ihre Augen vor den Flügelschlägen zu schützen.
Die Lampe fiel ihr aus der Hand und segelte über den Rand des Heubodens, landete auf dem gestampften Lehmboden unten und zerbarst. Die letzten Fledermäuse verschwanden in die Nacht. Von Sams erschrecktem Jaulen und dem beißenden Gestank von brennendem Lampenöl aus ihrer Erstarrung gerissen, stürzte Samantha zur Leiter, von dem Gedanken beseelt, die Flammen zu löschen, bevor sie das Heu erreichten und den ganzen Stall erfassten.
Sie war etwa zu einem Drittel die Leiter hinabgeklettert, als ihr Fuß durch eine morsche Sprosse brach und sie das Gleichgewicht verlor. Sie hing, wie es ihr vorkam, eine Ewigkeit in der Luft, zwischen Hoffen und Bangen, bis sie schließlich nach hinten fiel.
Sie hörte den dumpfen Aufprall, als sie auf dem Boden aufschlug, hörte Sam winseln, als er ihr die Wange leckte, mit seiner kalten, feuchten Schnauze ihr Ohr anstupste, hörte das hungrige Prasseln der Flammen, die das Heu erreicht hatten.
»Gabriel?«, flüsterte sie. Sie sah ihn im Sonnenschein auf sie herablächeln, genau in dem Augenblick, als ihre Welt in Dunkelheit versank.
16
Meine liebste Cecily,
du nennst mich hartnäckig und überzeugend,
und doch widersetzt du dich mir in einem fort …
Gabriel saß an der Tür zu der künstlichen Ruine, lauschte dem Glucksen des Baches, der die Felsen umspülte. Das dachlose Bauwerk war so angelegt, dass es wie der verfallene Turm einer alten Burg aussah. Als Junge hatte er viele aufregende Stunden damit verbracht, es mit einem hölzernen Schwert bewaffnet vor den angreifenden Horden irgendwelcher Barbaren zu verteidigen, die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit seinen kleinen Schwestern aufwiesen.
Er hockte auf der Steinbank, den Rücken zur Wand, die langen Beine ausgestreckt. Der milde Nachtwind fuhr ihm in die Haare, die sich zu großen Teilen aus dem Lederband gelöst hatten und so als schimmernder Vorhang seine gezackte Narbe verdeckten. Auch von den anderen Missgeschicken des Tages war er gezeichnet. Seine Stiefel waren abgestoßen, der Ärmel seines Hemdes von Dornenranken zerfetzt. Seinen Handrücken zierte eine frische Schramme und eine schmerzhafte Beule sein Knie.
Doch die tiefste Wunde, die er heute davongetragen hatte, hatte sein Herz getroffen, und zwar als er den Wortwechsel zwischen seiner Mutter und Samantha mit angehört hatte.
Nachdem er stundenlang ziellos durch den Wald gestreift war, einen Ast als behelfsmäßigen Gehstock benutzend, hatte er schließlich den Fehler begangen, zum Herrenhaus zurückzukehren. Eigentlich hatte er ungesehen ins Gebäude schlüpfen wollen und sich deswegen an der Mauer entlanggetastet, auf der Suche nach einem offenen Fenster. Aber sein Vorhaben war vergessen, als die Stimme seiner Mutter durch den Türspalt zu ihm gedrungen war.
… dass es eine Gnade gewesen wäre, wenn mein Sohn dort an Deck des Schiffes gestorben wäre. Eine Gnade für ihn, wenn sein Leben sauber und schnell beendet worden wäre. Dann würde er nicht weiter und weiter leiden müssen. Er würde nicht so weiterleben müssen – dieses elende Leben als ein nur halber Mann.
Gabriel hatte sich gegen die Wand sinken lassen und den Kopf geschüttelt. Die Worte seiner Mutter besaßen nicht die Kraft, ihn zu verletzen. Sie bestätigten nur, was er lange schon vermutet hatte.
Und wie praktisch das für Sie gewesen wäre!
Er wollte sich gerade von der Mauer abstoßen und fortgehen, als Samanthas Stimme erklang, laut und deutlich, und ihn an Ort und Stelle bannte. Er neigte den Kopf zur Seite, betört von der Wut und der Leidenschaft ihrer Worte. Er hätte fast alles gegeben, das Gesicht seiner Mutter in diesem Augenblick sehen zu können. Er bezweifelte, dass jemand es je zuvor gewagt hatte, so unverblümt
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