Geheimnis des italienische Grafen
An die Blumen, die sie ihr schickten, die Komplimente. Niemals schauten sie hinter ihre Fassade, das hübsche Gesicht, ihre gesellschaftlichen Kontakte – niemals sahen sie ihr wahres Wesen.
In Santa Lucia hatte sie eine Zeit lang geglaubt, jemand würde es sehen und verstehen und darauf antworten. Doch das war albern gewesen.
„Gewiss, die Gentlemen sind ehrenwert“, bestätigte sie und schenkte sich noch etwas Tee ein. „Und sehr nett, aber ich fürchte, ihre Gefühle würden bald erlöschen, wenn sie merken, wie ich wirklich bin.“
Calliope seufzte wieder. „Ja, das stimmt – wir Chase-Mädchen sind nicht so wie andere Frauen. Wir wurden dazu erzogen, unseren Verstand zu benutzen, unsere Meinung zu äußern. Doch ich glaube, es gibt genug Männer, die das zu schätzen wissen.“
„Tatsächlich?“ Thalia schenkte ihr ein mutwilliges Lächeln. „Männer wie Cameron?“
Lachend nickte Calliope. „Was ich denke, habe ich ihm niemals verschwiegen. Und wir führen sehr … lebhafte Gespräche. Manchmal streiten wir auch.“
„Gewiss, Cameron ist wunderbar. Aber solche Männer findet man in England nur sehr selten.“
„Vielleicht, weil seine Mutter eine Griechin war. Ganz gewiss, mein Mann ist einzigartig. Aber wir werden auch für dich den Richtigen finden.“
Daran zweifelte Thalia. Ihren älteren Schwestern war die Glücksgöttin gewogen gewesen. Aber der Blitz schlug niemals dreimal zu.
„Sorg dich nicht um mich“, erwiderte sie. „Mit dem Leben, das ich jetzt führe, bin ich sehr zufrieden. Ich schreibe meine Theaterstücke. Und wenn Psyche älter ist, gebe ich ihr Musikunterricht. Also werde ich eine perfekte altjüngferliche Tante abgeben!“
Calliope lachte wieder, aber Thalia merkte ihr an, wie müde sie war. „Natürlich würde ich dich sehr gern für immer bei mir behalten. Aber so selbstsüchtig will ich nicht sein. Schon jetzt ist Psyche ungewöhnlich … lebhaft. Was geschehen wird, wenn sie laufen und reden kann, möchte ich mir gar nicht vorstellen.“
„Oder – der Allmächtige möge uns beistehen, wenn ihre ersten Verehrer das Haus belagern. Schon jetzt ist sie eine echte Chase.“ Thalia legte eine Decke über Calliopes Beine. „Nun lasse ich dich allein, Liebes, damit du dich ausruhen kannst. Bitte, mach dir keine Gedanken über mich. Es geht mir gut, und ich bin glücklich.“
„Wirklich?“
„Ja, allerdings“, erklärte Thalia in entschiedenem Ton.
„Also gut. Dann will ich so tun, als würde ich dir glauben. Tust du mir einen Gefallen?“
„Natürlich.“
„Schreib an Clio und erkundige dich nach dem Conte. Sie weiß viel mehr über ihn als ich. Und sie kann dir Dinge erzählen, die ich für mich behalten muss, weil ich es versprochen habe.“
Was für Dinge? Thalia konnte ihre Neugier kaum bezähmen. Normalerweise hätte sie Calliope mit Fragen bestürmt. Aber das blasse Gesicht ihrer Schwester hinderte sie daran. Calliope war sichtlich erschöpft. Außerdem würde sie niemals Geheimnisse ausplaudern, wenn sie gelobt hatte, Stillschweigen zu bewahren. Auch sie besaß den typischen Chase-Eigensinn.
„Ja, ich werde an Clio schreiben.“ Thalia ging zum Pianoforte und ließ ihre Fingerspitzen über die kühlen Elfenbeintasten gleiten. Für die stürmische Leidenschaft ihres geliebten Beethoven war dies der falsche Zeitpunkt. Wenn sich ihre Gedanken und Gefühle im Aufruhr befanden, nahm sie immer Zuflucht zu diesem Komponisten. Aber nun spielte sie für Calliope ein Volkslied, das sie in Italien gelernt hatte – eine sanfte, heitere Melodie, die neue Lebensgeister wecken mochte.
Diese Wirkung übten die Klänge auf sie selber aus. Wie so oft wurde sie von der Musik in eine schönere Welt entführt – an einen Ort, wo nichts existierte außer Harmonie und schöpferischem Geist, Emotionen und Freiheit.
Während sie zu einem anderen Lied überging, blickte sie zufällig aus dem Fenster. Entlang der Crescent-Kurve wanderten Marco und Lady Riverton mit dem kleinen Mops vorbei. Arm in Arm, lachten sie einander an.
Thalias bebende Finger trafen die falschen Tasten, Misstöne erfüllten den Raum. Hastig schaute sie zum Sofa hinüber, um festzustellen, ob Calliope etwas bemerkt hatte. Aber ihre Schwester schlief.
Und als Thalia sich wieder zum Fenster wandte, waren Marco und Lady Riverton verschwunden.
6. KAPITEL
Licht fiel aus den Fenstern der Assembly Rooms auf die Straße, wo die Kutsche von Lord und Lady Westwood hielt. Allzu nah konnten sie nicht
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