Geheimnis des italienische Grafen
eleganten Frackröcken der Gentlemen, aus schimmernden Perlen und gleißenden Diamanten. Der Glanz der Juwelen erinnerte Thalia an das Muranoglas, das sie in Venedig gesehen hatte.
Und der Gedanke an Venedig erinnerte sie an Marco. Schon wieder …
„Verdammt!“, murmelte sie und wünschte, sie könnte ihren Fächer gegen irgendetwas schmettern, so wie Calliope vorhin an die Wagentür. Warum – o warum war er wieder in ihr Leben getreten und beschwor unerfüllbare Träume herauf?
Glücklicherweise war ihre Schwester zu beschäftigt, um den leisen Fluch zu hören. „Ah, da ist ein Sessel!“, rief sie und zerrte sie zum letzten freien Sitzplatz an der Wand, den sie einem der Dandys wegschnappte. „Nun halte ich mein Wort, das ich Cameron gegeben habe – ich sitze.“ Erleichtert klappte sie ihren Fächer auseinander. „Und jetzt löse ich das Versprechen ein, das ich dir gab, liebe Thalia.“
„Welches Versprechen? Davon weiß ich nichts.“
„Sagte ich nicht, ich würde einen Tanzpartner für dich finden? Siehst du einen Gentleman, der dir gefällt?“
Thalias Blick glitt über die Tanzpaare hinweg, die Leute, die an den Wänden standen und schwatzten oder umherschlenderten. „Keinen einzigen.“
„Irgendjemanden muss es geben. Schau dich etwas genauer um! Ich verbiete dir, den ganzen Abend neben mir zu stehen. Wo ich doch weiß, wie gern du tanzt“
Gewiss, sie tanzte sogar sehr gern. Ihre Füße juckte es, im Takt der Musik umherzuwirbeln. So lange hatte sie nicht getanzt. Nicht mehr seit …
… seit dem Maskenball in Santa Lucia, seit den Tarantellas und den Walzern mit Marco unter dem Erntemond der Demeter. Vor ihrem geistigen Auge verwandelte sich der Ballsaal in eine warme sizilianische Nacht, in ein Gewirr aus Masken und Träumen.
Plötzlich glaubte sie wieder in Marcos Armen dahinzuschweben, an seiner Schulter zu lehnen. So warm und stark hatte sich sein Körper durch das dünne Hemd angefühlt. Und sein Duft, nach Zitronen und Minze … Damals hatte sie sich inbrünstig gewünscht, er würde sie nie mehr loslassen und sie könnte seine Essenz einatmen, bis sie vollends mit ihm verschmolzen wäre.
So viel hatte sie in jenem Moment vergessen. Wer sie war, wer er war. Dass er ihre Schwester liebte und sich in mysteriöse Machenschaften verstrickte. Von seinen Armen umfangen zu werden, das war ihr gut und richtig erschienen – etwas, worauf sie gewartet hatte …
Jemand rempelte sie an, riss sie aus ihren italienischen Träumen und katapultierte sie nach Bath zurück. In die kalte Realität des öden, unnützen Lebens einer englischen jungen Dame. Sizilien und das neue Gefühl einer sinnvollen Existenz – längst entschwunden. Nur mehr eine wehmütige Erinnerung. Wie die Tänze in Marcos Armen.
„Nein, Callie“, sagte sie, „hier sehe ich niemanden, mit dem ich tanzen will.“
Prüfend schaute Calliope zu ihr auf und suchte zu ergründen, was hinter dieser Antwort stecken mochte.
Thalia lächelte sie strahlend an. Das hatte sie in letzter Zeit gelernt, und es gelang ihr immer besser. Trotzdem schien sie ihre Schwester nicht zu täuschen.
„Nun, der Abend ist noch jung“, meinte Calliope und schwenkte ihren Fächer so heftig, dass die Armbänder an ihren Handgelenken klirrten. „Vielleicht lassen sich später ein paar attraktivere Gentlemen aus dem Spielsalon locken.“
„Ja, eventuell“, stimmte Thalia zu, obwohl sie wusste, sie würde auch unter den Kartenspielern keinen einzigen Mann entdecken, mit dem sie tanzen wollte.
Kurz danach erschien Cameron, reichte seiner Frau das gewünschte Punschglas, und Thalia entschuldigte sich. Sie behauptete, sie würde den Ruheraum für Damen aufsuchen. In Wirklichkeit musste sie für eine kleine Weile allein sein. Jetzt brauchte sie ein bisschen Zeit für sich selbst, um jene Erinnerungen zu verbannen.
In Santa Lucia, an den wenigen Tagen, da sie von Clio um Hilfe gebeten worden war, hatte sie sich nützlich gefühlt. Gebraucht. Sie konnte ihre schauspielerischen Talente einsetzen, um einen Diebstahl aufzuklären, einen kostbaren Schatz wiederzugewinnen, der zur italienischen Geschichte gehörte! Nie zuvor hatte irgendjemand ihren Beistand benötigt oder ihr eine nennenswerte Leistung zugetraut. Immer war sie nur die kleine Schwester gewesen, die man beschützen und verhätscheln musste. Und sie sehnte sich so inständig nach einer bedeutsamen Aufgabe.
Jene Zusammenarbeit mit Clio, Averton und Marco hatte ihrem Leben endlich einen
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