Geheimnis des italienische Grafen
Stattdessen würde sie ihn anschreien und wissen wollen, wie er denn auf so eine verrückte Idee käme. Also würde sie den anderen Chase-Mädchen gleichen.
Und möglicherweise bin ich deshalb so nervös vor dem Treffen mit Marco, überlegte Thalia. Gewiss, sie würden sich an einem öffentlichen Ort begegnen. Aber was mochte geschehen, wenn sie von ihrer brennenden Neugier, ihrer vermaledeiten Impulsivität überwältigt wurde? Wenn sie ihn niederschlug – falls sie es könnte, was sie unwahrscheinlich fand, denn er war überdurchschnittlich groß – und gebieterisch fragte, was zum Teufel er in Bath trieb?
Ja, so etwas war ihr zuzutrauen. Und im Augenblick konnte Calliope keine skandalöse Schwester gebrauchen.
„Bleib ganz ruhig und gefasst“, ermahnte sie ihr Spiegelbild. „Es ist einfach nur ein Morgenspaziergang. Mehr nicht.“
„Wohin gehst du, Thalia?“, fragte Cameron.
Verwirrt fuhr sie herum und sah ihn die Stufen herabsteigen, so leise, dass sie keine Schritte gehört hatte.
Falls sie wissen wollte, wie man sich unbemerkt an jemanden heranpirschte, konnte sie sehr viel von ihrem Schwager lernen. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, sie würde solche Fähigkeiten brauchen.
„Ich dachte, du bist bei Calliope“, murmelte sie nach einem tiefen Atemzug und verknotete ihre Hutbänder.
„Glücklicherweise konnte ich sie dazu überreden, etwas länger zu schlafen. Später bringe ich sie wieder ins Thermalbad.“ Am Fuß der Treppe blieb er stehen und lehnte sich an das Geländer. Diese lässige Pose täuschte Thalia nicht. „Eigentlich wollte ich dir vorschlagen, uns zu begleiten, meine Liebe. Aber wie ich sehe, hast du andere Pläne.“
„Vorerst kann ich kein Heilwasser mehr trinken. Ich gehe spazieren, danach werde ich ein bisschen schreiben. In letzter Zeit habe ich meine Arbeit vernachlässigt.“
„Freut mich zu hören. Calliope fürchtet, du würdest dich langweilen.“
„Wie könnte ich mich in Bath langweilen? Diese Stadt bietet so viele angenehme Abwechslungen.“
„Und so viele Bewunderer?“ Cameron grinste sie an. „Gestern Abend wurdest du von zahllosen jungen Männern umzingelt.“
„Ja, auf ihre Art waren sie recht amüsant.“
„Begleitet dich einer dieser Gentlemen auf deinem Spaziergang?“
„ So amüsant waren sie nun auch wieder nicht. Und am frühen Morgen verkrafte ich ihr Geschwätz noch nicht. Genauso wenig wie das grässliche Wasser. Da denke ich lieber nach.“
„Und das kannst du hier im Haus nicht tun?“ Im oberen Stockwerk erklang Psyches gellendes Gebrüll, und Cameron lächelte wehmütig. „Vermutlich nicht.“
Lachend strich Thalia ihre Handschuhe glatt. „Allzu lange werde ich nicht wegbleiben.“
Als sie sich abwenden wollte, ergriff Cameron ihren Arm. „Thalia …“
Erstaunt über den plötzlichen Ernst, der in seiner Stimme mitschwang, hielt sie inne.
„Wirst du auf deinem Spaziergang zufällig dem Conte di Fabrizzi begegnen?“, erkundigte er sich.
Ruhig und gefasst, erinnerte sie sich und lächelte unbeschwert. Zumindest hoffte sie, einen sorglosen Eindruck zu erwecken – nicht so unsicher und beklommen zu wirken, wie sie sich fühlte. Aber in dieser Familie besaß sie nicht umsonst das beste schauspielerische Talent.
Angesichts ihres Lächelns seufzte Cameron erleichtert und ließ ihren Arm los.
„Keine Ahnung, wem ich begegnen könnte“, erwiderte sie in beiläufigem Ton. „Allerdings nehme ich an, der Conte zählt nicht zu den Frühaufstehern.“
„In Italien kanntest du ihn, nicht wahr?“
„Ob ich ihn kannte ? Nun, das wäre etwas übertrieben ausgedrückt. Er war zur selben Zeit wie wir in Sizilien. Auf einigen Partys trafen wir ihn. Anscheinend kreuzen sich die Wege der Leute, die für Altertümer schwärmen, immer und überall.“ Sie dachte an die Spannung, die in der Trinkhalle zwischen Marco, Calliope und Cameron geherrscht hatte. „Vielleicht ist der Conte dir auf deinen Reisen auch schon einmal über den Weg gelaufen.“
Cameron hatte ganz Europa mehrmals bereist und sich seinen Studien gewidmet. Auf der Hochzeitsreise hatte er mit Calliope eine ausgedehnte Tour durch Italien und Griechenland unternommen. Wusste er etwas über Marcos Aktivitäten in Italien? Aber sein wachsamer Blick empfahl ihr, das Thema nicht weiterzuverfolgen.
„Nach meiner Ansicht wäre der Conte kein passender Umgang für dich, Thalia“, bemerkte er.
„Oh, Cameron!“ Sie lachte leise. „Übst du schon jetzt die Rolle eines
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