Geheimnis des italienische Grafen
war eine Dame, die Schwester seiner Freundin. In Zukunft musste er stark sein und sich von ihr fernhalten. Doch es wäre viel einfacher, das Tempelsilber zurückzustehlen, als jene sensitive Stelle an ihrem weißen Hals zu vergessen, die er so hungrig geküsst hatte.
„Zum Teufel!“, flüsterte er und richtete sich auf, rückte sein Krawattentuch zurecht und glättete sein zerzaustes Haar. Am Stoff seines Frackrocks glaubte er das schwache, berauschende Aroma weißen Flieders zu riechen. Sicher täuschte ihn seine übererregbare Fantasie. So wie die Erinnerung an den Duft ihrer goldenen Locken …
Am Ende des Korridors klickte die Tür des Salons, die geöffnet wurde, ein Musselinrock raschelte. Hastig verzog Marco die Lippen zu einem höflichen Lächeln und wappnete sich für eine Begegnung, mit wem auch immer. Danach wollte er das Haus der Grimsbys möglichst schnell verlassen.
Aber es war Calliope Chase – nein, jetzt Lady Westwood –, die in der Halle erschien und eine Stola zurechtzupfte, die ihre Schultern umhüllte. Die Stirn besorgt gerunzelt, schaute sie sich um. Jedes Mal, wenn Marco sie sah, musste er an jenes Verlies in Yorkshire denken, den unheimlichen Raum, mit den antiken Schätzen gefüllt, die der Duke of Averton versteckt hatte. Und an Calliope, die auf ihn zugekommen war, auf Clio, die versucht hatte, die Alabastergöttin zu stehlen …
Die Eskapade hatte kein gutes Ende gefunden. Und er fürchtete, diesmal würde es nicht anders verlaufen, sobald Calliope ihn in der Halle entdeckte.
Formvollendet verneigte er sich. „Lady Westwood, schön wie eh und je.“
Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. „Ah, Conte di Fabrizzi – ich suche meine Schwester. Haben Sie Thalia gesehen?“
„Leider nicht. Zuletzt sah ich die schöne Miss Chase, als sie Klavier spielte – eine wunderbare Darbietung.“
Calliope trat näher zu ihm. In ihrem elfenweißen Gesicht funkelten sherrybraune Augen. „Was für ein Spiel Sie treiben, weiß ich nicht, Conte di Fabrizzi. Aber ich verbiete Ihnen, Thalia da hineinzuziehen. Sie ist jung und sehr romantisch veranlagt. Und viel zu impulsiv. Ich werde nicht dulden, dass sie wegen Ihrer Machenschaften Schaden nimmt.“
„Vielleicht unterschätzen Sie Ihre Schwester, Lady Westwood“, erwiderte Marco. „Sie mag impulsiv sein. Aber sie ist keine Närrin.“
„Sicher kenne ich meine Schwester besser als Sie, Conte, und ich habe mir geschworen, auf sie aufzupassen, während wir uns in Bath aufhalten. Was in Yorkshire geschah, darf sich nicht wiederholen. Die Liliendiebin existiert nicht mehr.“
„Keine Ahnung, wovon Sie reden, Lady Westwood … Und bitte glauben Sie mir, ich hege keine unlauteren Absichten, die Miss Thalia betreffen – oder eine der anderen Chase-Töchter.“
Aufmerksam musterte sie ihn. Ihre Blicke schienen ihn zu durchbohren. Schließlich wandte sie sich ab und kehrte zum Salon zurück. „Ich werde Sie beobachten, Conte!“, rief sie über ihre Schulter. „Ebenso wie mein Mann!“
Oh, magnifico, dachte er ironisch. Das würde seine Arbeit in Bath erleichtern. Ein Grund mehr, sich von Thalia Chase fernzuhalten …
Und doch, und doch – dieser Fliederduft verfolgte ihn unablässig.
10. KAPITEL
Thalia blätterte in den Manuskriptseiten ihres Theaterstücks „Das dunkle Schloss des Grafen Orlando“. Die Augen zusammengekniffen, studierte sie die durchgestrichenen und korrigierten Stellen des unvollständigen Dramas. In Sizilien hatte sie begonnen, daran zu arbeiten. Dort hatte die Handlung einen perfekten Sinn ergeben – zwischen Ruinen und windgepeitschten Ebenen, wo List und Tücke scheinbar zum Alltag gehörten. Aber hier in England fand sie die Geschichte des Grafen, dem sie Robin-Hood-Züge verliehen hatte, und seiner widerstrebenden jungen Braut in dem halb verfallenen Schloss nur noch albern. Zudem überforderten die gespenstischen Ereignisse ihre schriftstellerischen Fähigkeiten.
Aber nach dem letzten Abend kamen ihr geheime Leidenschaften und eine schwindelerregende, unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Verbotenen nicht mehr töricht vor, sondern viel zu real.
Sie ergriff ihre Feder und das Tintenfass. Nachdenklich starrte sie ein Blatt Papier an, eine unvollendete Szene – die Hochzeitsnacht des verruchten Grafen Orlando und seiner widerwilligen Frau, der heißblütigen Isabella. Deren bösartiger Stiefvater hatte sie dem mysteriösen Aristokraten verkauft, über den sie so viele schreckliche Geschichten gehört
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