Geheimnis des italienische Grafen
dicker Brief, auf dem sie Clios Handschrift erkannte.
„Endlich!“, flüsterte sie und brach das rote Wachssiegel mit dem Averton-Wappen.
Meine liebste Schwester Thalia, begann sie zu lesen, ich kann gar nicht in Worte fassen, wie glücklich ich über den Empfang Deines Briefes war! Ein Wunder, dass er mich erreicht hat, denn Edward und ich machten in Neapel Station, wo es zu schweren Unruhen kam. Dort folgten wir einer weiteren falschen Spur des verschwundenen Silbers. Stell Dir meine Verblüffung über Lady Rivertons Ankunft in Bath vor! Vermutlich traf sie ohne das Silber ein. Umso merkwürdiger! Natürlich werden wir unverzüglich nach England zurückkehren, und ich freue mich darauf, Euch alle wiederzusehen. Da Du offenbar schon sehr viel erraten hast, lass Dir die ganze Geschichte erzählen.
Aufgeregt las Thalia die Schilderung des Abenteuers in Santa Lucia. Gewiss, sie hatte gewusst, dass Lady Riverton das antike Tempelsilber gestohlen hatte, mit dem Beistand ihres Gefährten Ronald Frobishers und einiger gefährlicher tombaroli, ruchloser Grabräuber. Clio und ihr späterer Ehemann hatten den Diebstahl entdeckt und sie, Thalia, um Hilfe gebeten. Daraufhin hatten sie der Bande eine Falle mit der Theateraufführung gestellt, was jedoch nur einen Teilerfolg erzielte. Lady Riverton war mit der Beute geflohen und nun in Bath aufgetaucht. Mit Marco.
Was Thalia nicht gewusst hatte – früher war Clio die berüchtigte Liliendiebin gewesen. Vor zwei Jahren hatte sie skrupellose Antiquitätensammler zur Verzweiflung getrieben, ihnen direkt vor der Nase kostbare Schätze gestohlen und an deren Stelle frische Lilien zurückgelassen. Vergeblich hatte die Ladies Artistic Society der Chase-Schwestern damals versucht, das Rätsel zu lösen.
… Natürlich gab ich dergleichen inzwischen auf, setzte Clio ihren Bericht fort . Für eine Duchess würde sich so etwas nicht schicken! Jetzt wende ich – drücken wir es vielleicht so aus – legalere Methoden an. Was den ehemaligen Komplizen der Liliendiebin betrifft, bin ich mir da nicht so sicher. Wie Du erwähnt hast, hält er sich derzeit ebenfalls in Bath auf. Der Conte di Fabrizzi! Genauso leidenschaftlich wie die Chases kämpft er für die Rettung der antiken Kultur und deren Kunstwerke, und er ist doppelt so hartnäckig. Kein Wunder, dass er Edward und mir zuvorkam und Lady Riverton aufspürte! Er war ein erstklassiger Dieb und ein guter Freund.
Aber ich bitte Dich, meine Liebe, sei vorsichtig. Hier in Neapel habe ich einiges erfahren. Marco beteiligt sich an Machenschaften, für die wir Chases uns niemals hergeben würden, und er folgt seinem eigenen Weg. Bleib stets in Callies Nähe, bis ich wieder bei Euch bin, und gib Baby Psyche einen Kuss von mir. An Euch alle liebe Grüße, Clio .
Langsam legte Thalia den Brief auf den Schreibtisch und schaute sich mit leerem Blick in der kleinen Bibliothek um. Dann lachte sie laut auf, fühlte sich plötzlich maßlos erleichtert und befreit, glaubte beinahe zu schweben.
Marco und Clio waren nur Komplizen gewesen. Kein Liebespaar. Außer den gemeinsamen Diebstählen hatten sie keine Geheimnisse geteilt. Jetzt ergaben die geflüsterten Gespräche und verstohlenen Blicke einen bizarren Sinn. Es war immer nur um jene Aktivitäten gegangen.
Abgesehen von … Thalia erinnerte sich an Marcos ernste Miene bei Clios Hochzeit. So unglücklich hatte er beobachtet, wie seine Mittäterin die Duchess of Averton geworden war.
Auf ihrer Seite war es nur Freundschaft gewesen. Und auf seiner?
Hier in Neapel habe ich einiges erfahren.
Auch in Bath geschahen seltsame Dinge. Davon war Thalia fest überzeugt. Sie faltete den Brief zusammen und schob ihn zwischen die Blätter ihres Manuskripts. Jetzt erschien ihr die Wirklichkeit viel interessanter als erfundene Geschichten. Dass Clio die Liliendiebin gewesen war, überraschte sie nicht sonderlich. Schon immer war sie die kühnste, die listigste der Chase-Musen, überlegte sie. Inständig wünschte sie, die Schwester wäre bei ihr, würde noch mehr erzählen und ihr helfen, die mysteriösen Ereignisse aufzuklären.
Aber bis zu Clios Ankunft in England würde noch einige Zeit verstreichen, und Calliope durfte während ihrer Genesung nicht mit irgendwelchen Problemen belastet werden. Also bin ich auf mich selbst gestellt, überlegte Thalia. Und sie wollte ihre Chance – ihre einzige Chance – nutzen und Marco ihre Fähigkeiten beweisen.
Sie fühlte sich rastlos, von den Mauern des Hauses
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