Geheimnis des Verlangens
absurd«, sagte sie statt dessen, »Stefan macht gerade jetzt auf mich nicht den Eindruck, besondere Privilegien zu genießen. Worauf sollte ich also neidisch sein? Vielleicht auf die Tatsache, dass ihm nicht einmal erlaubt ist, seine eigene Frau auszusuchen?«
»Es gibt sonst niemanden, den er heiraten möchte«, versicherte ihr Serge. Dann fügte er hinzu: »Jetzt nicht mehr.«
»Serge!« rief Lazar ungläubig.
Der warnende Unterton in seiner Stimme belustigte Tanya. »Also wirklich! Soll ich etwa schockiert darüber sein, dass er eine andere heiraten wollte? Er ist dreißig Jahre alt oder so, nicht wahr? Ich wäre wahrhaftig überrascht, wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht wenigstens einmal im Leben schon den Wunsch verspürt hätte zu heiraten.«
»Ich bin nicht älter als er, und ich wollte noch nie heiraten«, sagte Lazar.
»Ich auch nicht«, warf Serge ein.
»Aber er wollte es, und — oje, oje — das muss wirklich ein Feuer unter dem königlichen Temperament entzündet haben, als man ihn daran erinnerte, dass er bereits eine Verlobte besaß. Liege ich richtig mit meiner Vermutung?«
Lazar nickte widerwillig. »Aber er fand schnell heraus, dass er besser ohne sie dran war. Sie war nichts als eine ...«
Die Tatsache, dass sich sein Gesicht plötzlich verfärbte, sagte Tanya, dass sie nicht zu fragen brauchte, was die Frau war. »Ich verstehe. Noch eine Hure«, sagte sie gleichmütig, während sie aufstand. Dann fügte sie mit mehr Feuer hinzu: »Raus, alle beide!«
»Nun, Prinzessin, ich habe da keine Vergleiche angestellt ...«
»Und ob Ihr das getan habt, sonst hättet Ihr nämlich nicht plötzlich gezögert, und Eure Haut wäre auch nicht um mindestens zehn Schattierungen dunkler geworden. Und Euch beiden zumindest habe ich zugetraut, Eure Verachtung im Zaum zu halten!«
»Wenn das Wort Euch so sehr zuwider ist, Prinzessin Tatjana«, sagte Vasili von der geöffneten Tür aus, und seine Stimme klang ganz besonders leidenschaftslos, »dann hättet Ihr einen Weg finden sollen, Euch Eure Tugend zu bewahren.«
Tanya starrte ihn einen Augenblick lang zornig an, bis sie begriff, worum es eigentlich ging. Er schalt sie dafür, dass sie sich über etwas aufregte, was sie alle für eine unumstößliche und bewiesene Tatsache hielten. Und er hatte natürlich recht. Solange sie die Anklage nicht leugnete, durfte sie sich auch nicht über ihre Anspielungen ärgern. Sascha hatte ihr schon dasselbe gesagt. Und wenn sie die Sache vom Standpunkt der Männer aus betrachtete, musste ihre gekränkte Eitelkeit wirklich sehr scheinheilig erscheinen.
Das Schlimme war nur, dass es ihr so schwerfiel, ihre Gefühle zu Logik und Toleranz zu zwingen. Sie hoffte wahrscheinlich immer noch, dass die Männer sie nach ihrem Verhalten beurteilen würden und nicht nach irgendwelchen Vermutungen, aber natürlich vergaß sie dabei ihr erstes Zusammentreffen mit Vasili . Damals hatte er sie auf Stefans Schoß vorgefunden, und sie zweifelte daran, dass Stefan sich die Mühe gemacht hatte, ihm zu sagen, wie sie dort hingekommen war. Außerdem vergaß sie auch all die Dinge, die sie in ihrem Zorn gesagt hatte, all die Lügen, mit denen sie den Männern eins auszuwischen versucht hatte. Die jedoch hatten all ihre Lügen für bare Münze genommen.
Aber es nützte ihr gar nichts, all das zu wissen, es zu akzeptieren und sich sogar für ihren eigenen Anteil daran zu schämen — sie konnte die Männer trotzdem nicht freisprechen. Nicht alle jedenfalls. Lazars Beleidigung war eine reine Ungeschicklichkeit gewesen, Vasili dagegen tat es grundsätzlich mit Absicht.
Sie setzte sich wieder hin und sagte schroff: »Ihr seid hier nicht willkommen. Die beiden sind es, aber Ihr seid es nicht.«
Typischerweise ignorierte er ihre Bemerkung vollkommen und schlenderte weiter ins Zimmer hinein. »Wir haben den Befehl, Euch Gesellschaft zu leisten, Euch zu beschäftigen und zu unterhalten. Ich sehe, dass wir, was die Unterhaltung betrifft, hervorragende Arbeit leisten. Aber ich habe so meine Zweifel daran, dass Stefan dieses Thema gutheißen würde.«
»Sie hat nach Stefans Narben gefragt«, erklärte Lazar, und seine Stimme verriet sein Unbehagen. »Sollten wir es etwa zulassen, dass sie dieses Thema in seiner Gegenwart anschneidet?«
»Morbide Neugierde verdient es nicht, befriedigt zu werden«, erwiderte Vasili , und endlich einmal wurde er wütend. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten fast so hell, wie Stefans es manchmal taten. »Wie vermessen
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