Geheimnis des Verlangens
dann gab es auch noch allerlei andere Dinge zu erledigen: Das Frühstück für den nächsten Morgen musste organisiert werden, wenn der ganze Troß durch das Dorf kam; außerdem musste n sie auch noch Proviant für das Mittagessen besorgen.
Lazar hatte ihr erzählt, dass dieser Teil des Landes für seine Bergbanditen und andere Arten von gesetzlosen
Gesellen bekannt war. Weil es ein so abgelegenes Gebiet war und seiner Natur nach noch fast primitiv, ignorierten es die umliegenden Länder: Österreich, das Königreich Polen oder jedenfalls das, was noch davon übrig war, da Polen jetzt unter russischer Herrschaft stand, und schließlich Russland selbst.
Unglücklicherweise führte die nördliche Route nach Cardinia direkt durch dieses Gebiet, aber man konnte es in einem halben Tag durchqueren. Und man hatte Tanya versichert, dass schwerbewachte Reisende, so wie sie, niemals belästigt wurden. Nicht dass sie sich Sorgen darüber gemacht hätte. Natürlich hatte man ihr zu Anfang ihrer Ü berlandreise klargemacht, dass auch die natürlichen Einwohner des Landes eine Gefahr darstellten; Bären, Wildkatzen und Wölfe durchstreiften die Wälder und manchmal auch die angrenzenden Ländereien. Ihre Reisegefährten hatten wieder und wieder betont, dass sie sich niemals und aus keinem Grund allein irgendwohin wagen durfte. Aber sie hatte all diesen Warnungen kaum Beachtung geschenkt, da sie so sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war.
Als Stefan letzte Nacht endlich zum Lager zurückgekehrt war, hatte sie versucht, mit ihm zu sprechen. Er jedoch hatte sie abgewimmelt mit der Begründung, er sei zu müde. Als sie es am Morgen, bevor das Lager abgebrochen wurde, noch einmal versucht hatte, sagte er, er sei zu beschäftigt. Die Sache würde wohl bis zum Abend warten müssen — damit sie wahrscheinlich wieder zu hören bekäme, er sei zu müde? O nein!
Das war der Zeitpunkt, als ihr all die Warnungen wieder in den Sinn kamen, wie gefährlich es wäre, sich von der Gruppe zu entfernen. Es fiel ihr auch wieder ein, wie furchtbar sich Stefan aufgeregt hatte, als sie in den Mississippi gesprungen war, einfach deshalb, weil sie dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Wenn sie also seine Aufmerksamkeit nicht gewinnen konnte, indem sie darum bat, würde sie es auf eine andere Art versuchen — indem sie von der Bildfläche verschwand.
Natürlich hatte sie nicht die Absicht, sich selbst in Gefahr zu bringen. Sie würde sich nicht weit von den Kutschen entfernen müssen, um >verschwunden< zu sein. Auf alle Fälle konnte sie in Rufweite bleiben. Sie brauchte ja nicht zu antworten, wenn man nach ihr rief. Und sie musste sich nicht eher zeigen, als bis Stefan verrückt vor Sorge war. Dann würde dieser Teufel sich endlich dazu herablassen, mit ihr zu sprechen.
Ihr war natürlich auch klar, dass das, was sie vorhatte, Stefans Versprechen auf die Probe stellen könnte, dass er, wie schon zuvor, fuchsteufelswild sein würde. Aber dieser Umstand bereicherte ihren Plan nur um einige aufregende Möglichkeiten, die sie umso entschlossener zu Werke gehen ließen. Und sie wartete nicht bis zum Abend. Sie hatte keine besondere Lust, sich im Dunkeln auf und davon zu machen, und daher setzte sie ihre Absicht noch am selben Nachmittag in die Tat um, als sie anhielten, um sich das kalte Mittagessen aus dem Dorf schmecken zu lassen.
Tanya wartete so lange, bis jeder mit dem Essen fast fertig war, denn es wäre sinnlos gewesen, länger in den Wäldern zu bleiben, als unbedingt nötig. Sie beendete sogar ihre eigene Mahlzeit, ein in dickes, mit Butter bestrichenes Brot gewickeltes Stück Fleisch. Aber sobald sich ihre Mägde daran machten, alles wieder aufzuräumen, um ihre Abfahrt vorzubereiten, schlüpfte sie heimlich hinter die Kutsche, wartete dort eine Weile, um sicher zu sein, dass niemand sie gesehen hatte, und stürmte dann in den Wald.
Sie hatte noch keine rechte Vorstellung, was sie zu ihrer Verteidigung sagen würde, wenn sie sich schließlich >finden lassen< würde. Sie sollte die Schuld dem geben, der sie auch verdiente, und Stefan die Wahrheit sagen. Nein, das war schließlich doch keine ausreichende Entschuldigung, um all die Warnungen in den Wind zu schlagen, die man ihr eingeschärft hatte. Nur, weil er sie ignorierte? Sie konnte ihm erzählen, dass sie allein sein wollte, um nachzudenken, um zu entscheiden, ob sie ihn heiraten wollte oder nicht. Anschließend, so könnte sie behaupten, sei sie eingeschlafen. Schließlich
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