Geheimnis des Verlangens
ziehe mein eigens Zimmer vor, vielen Dank«, sagte sie mürrisch. »Aber es besteht kein Grund für Euch, auf mich zu warten. Ihr könnt ja morgen früh wiederkommen, um mich abzuholen.«
»Genug!«
»Oje!« Ihre Augen weiteten sich in gespielter Unschuld. »Ich habe Euch doch jetzt nicht etwa wütend gemacht, oder? Nein, natürlich nicht. Ich stehe ja noch.«
Es gefiel ihm überhaupt nicht, daran erinnert zu werden, was zwischen ihnen vorgefallen war, als er sein Temperament nicht im Zaum halten konnte. Ihr Hohn hatte das Glühen in seine Augen zurückkehren lassen, aber er stellte eine bemerkenswerte Selbstkontrolle zur Schau. Er machte nicht einmal einen Schritt in ihre Richtung.
Seine Stimme dagegen schnitt wie Stahl durch ihre Erbitterung. »Es war Sandors letzter Wunsch, dass Ihr gefunden und nach Hause gebracht werden solltet, um Euren rechtmäßigen Platz auf dem Thron einzunehmen. All diese Verzögerungen, die Ihr verursacht habt, könnten bedeuten, dass er vor unserer Rückkehr stirbt. Wenn das der Fall ist, Tanya, dann könnt Ihr sicher sein, dass Ihr meinen ganzen Zorn zu spüren bekommen werdet... und meinen Schmerz.«
Sie wünschte nur, er hätte das ein wenig anders ausgedrückt. »Wer ist Sandor?«
»Unser geliebter König, seit zwanzig Jahren.«
»Aber Ihr habt doch gesagt, Vasili ...«
»Sandor hat wegen seines schlechten Gesundheitszustandes abgedankt, zugunsten seines einzigen Sohnes. Das war kurz bevor wir uns auf den Weg gemacht haben, Euch zu suchen.«
Schon wieder so ein Märchen! Ob er damit wohl nur weitermachte, um ihr Temperament auf die Probe zu stellen?
»Warum hebt Ihr Euch diese herzergreifenden Geschichten nicht für jemanden auf, der ein bißchen leichtgläubiger ist als ich? Ich werde mein Bad jetzt nehmen. Ihr könnt ja hier warten, wenn es denn sein muss .«
Sie wandte sich wieder von ihm ab, nur um erneut aufgehalten zu werden. »Ihr könnt in diesem Haus nicht länger schalten und walten, wie es Euch gefällt.«
»Und ob ich das kann, verdammt noch mal. Das ist mein Zuhause. Und in Kürze wird es mir ganz und gar gehören.«
»Das glaube ich nicht.«
Langsam fing sie an, diese besondere Bemerkung von ihm ausgesprochen zu verabscheuen. »Seht mal, Stefan, ich habe ziemlich gelassen reagiert, wenn man bedenkt, was ich Euretwegen alles durchgemacht habe. Kein Geschrei, nur ganz wenig Tränen, keine Ohnmächten. Ich bin nicht einmal Amok gelaufen, als ich Euch hier schon wieder vorgefunden habe. Und wißt Ihr, dass ich Euch und Euren Freunden die Kehle hätte durchschneiden können, neulich nachts, während Ihr geschlafen habt? Aber ich habe es nicht getan, und das nur, weil ich gehofft habe — dummerweise, wie ich jetzt einsehe —, dass Ihr genug Verstand hättet, um eine aussichtslose Sache irgendwann aufzugeben. Also macht weiter und bringt mich hin, wo auch immer Ihr mich hinbringen wollt. Aber sobald Ihr nichts mehr damit zu tun habt, werde ich wieder zurückkommen. Und es gibt nichts, das mich davon abhalten wird.«
»Madame Bertha — so heißt Eure Nachbarin doch? — würde Euch wahrscheinlich mit offenen Armen empfangen. Aber ich habe nicht die Absicht, ihr die Möglichkeit dazu zu geben.«
Tanya runzelte die Stirn. »Was soll denn das nun wieder heißen?«
»Es heißt, dass es Euch nicht gestattet sein wird, in dieses Land zurückzukehren. Es bedeutet ferner, dass ich diese Taverne von Mr. Dobbs gekauft habe, für genug Geld, um ihm bis zu seinem Hinscheiden ein Leben in Saus und Braus zu gestatten. Und statt meinem ersten Impuls zu gehorchen und das Haus abzubrennen und mit ihm wahrscheinlich die ganze Stadt, habe ich es lieber an das Bordell nebenan verkauft — mit beträchtlichem Verlust.«
»Ihr lügt. Ihr könnt unmöglich so viel Geld bei Euch gehabt haben. Genausowenig würdet Ihr zu so extremen Maßnahmen greifen.«
»Zu allen Maßnahmen, die Ihr Euch nur vorstellen könnt. Alles, was notwendig scheint, um Sandors letzten
Wunsch zu erfüllen«, sagte er in einem harten Ton, nur um dann sachlicher hinzuzufügen: »Unser Kreditbrief hat zwar im Wasser ein wenig gelitten, war aber durchaus noch leserlich und mehr als ausreichend, um Mr. Dobbs' astronomische Forderungen zu erfüllen. Aber wenn Ihr immer noch an meinen Worten zweifelt, dann bringe ich Euch auf der Stelle nach nebenan, damit Ihr Euch bei Madame Bertha danach erkundigen könnt, wem genau dieses Lokal jetzt gehört.«
O Gott, sie glaubte ihm. Er war zu gleichgültig, zu bereit, ihr
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