Geheimnis des Verlangens
umständliche Heimreise kostete sie daher insgesamt fünf Tage, und wenn sie nicht so besorgt gewesen wäre um das Harem und darüber, wie Dobbs ohne sie zurechtkam, hätte sie sich auch dann noch nicht in die Stadt gewagt. Aber jetzt war sie alles in allem sieben Tage weggewesen, und sie konnte sich wahrscheinlich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen ausmalen, was für ein Schlachtfeld die anderen aus ihrer Taverne gemacht hatten. Sie musste einfach zurück.
Nichtsdestoweniger hatte sie schlicht und einfach Angst davor, dass Stefan dort auf sie warten könnte. Ihre Vernunft sagte ihr natürlich, dass die Männer nicht ihretwegen den ganzen Weg zurück nach Natchez noch einmal auf sich nehmen würden. Und selbst wenn sie es taten, würden sie dann tagelang dort auf sie warten, wenn sie sie nicht sofort antrafen? Sie konnte nur hoffen, dass es nicht so war, und so viele Vorsichtsmaßnahmen treffen wie möglich.
Die übelste dieser Maßnahmen war die Notwendigkeit, bis in die frühen Morgenstunden hinein am Stadtrand zu warten. Aber sie konnte es nicht riskieren, das Harem zu betreten, solange die Taverne noch geöffnet war — wenn sie überhaupt noch öffnete. Falls Stefan ihr gefolgt war, wäre das der Ort, an dem er sie erwarten würde. Aber selbst wenn er nicht da war, war sie immer noch ohne ihre Maskerade, und daher musste sie allemal abwarten.
Sie hatte nicht Stefans Wams, sondern das Pferd verkauft, um den Fluß überqueren zu können. Für den Fährmann war dieser Handel ein gefundenes Fressen gewesen, aber sie hatte ohnehin keine Verwendung mehr für das Tier und war froh, es auf diese Weise losgeworden zu sein. Dobbs würde wahrscheinlich der Schlag treffen, wenn er davon hörte. Pferde waren nicht gerade billig.
Als Tanya fand, es sei nun spät genug, schlich sie sich verstohlen in die Stadt hinein, wobei sie sich nach Möglichkeit von den Hauptstraßen fernhielt. Die Taverne war vollkommen still, als sie dort ankam, die Türen geschlossen, und kein Licht brannte. Aber sie hatte keinen Anhaltspunkt, um herauszufinden, ob sie heute überhaupt Kundschaft gehabt hatten oder nicht. Im Bordell nebenan herrschte noch immer Betrieb. Das gleiche galt für die Spielhölle auf der anderen Straßenseite. Aber aus keinem der beiden Häuser drang genug Lärm, um ihr zu gestatten, in die Taverne einzubrechen, falls die Türen geschlossen waren. Und sie waren es beide.
Müde und hungrig, wie sie war, konnte Tanya keine große Begeisterung aufbringen für das, was sie nun erwartete. Sie konnte entweder auf das Dach der Veranda klettern und hoffen, dass oben eines der Fenster geöffnet war, oder so lange warten, bis die Taverne am nächsten Tag wieder ihre Pforten öffnete —falls sie es tat — und dabei genau das riskieren, was sie am Abend zuvor vermieden hatte.
Sie kletterte auf das Verandadach. Es kostete sie volle zehn Minuten und einen Beinahe-Sturz, aber sie schaffte es. Und zu ihrer ungeheuren Erleichterung stand Dobbs' Fenster offen.
Es war leicht, dort einzusteigen. Im Zimmer selbst war es jedoch stockfinster. Die mondlose Nacht, die ihr auf ihrem Weg durch die Stadt so hilfreich gewesen war, stellte jetzt ein Hindernis dar.
Sie fand das Bett, als sie dagegenstieß. »Dobbs, wach auf. Dobbs!« flüsterte sie eindringlich und rüttelte an der Matratze. Er gab keinen Laut von sich, kein Schnarchen, kein Brummen über diese Störung. »Dobbs?«
»Den werdet Ihr hier nicht finden, Prinzessin.«
»Nein!« stöhnte sie. Dann flammte ein Streichholz auf, und sie wirbelte herum. Stefan saß auf einem Stuhl neben der Tür, und das einzige, was ihr im Augenblick einfiel, war die Frage: »Warum seid Ihr immer noch hier?«
»Immer noch? Ah, natürlich. Wir haben auf Euch gewartet. Fast drei Tage lang. Habt Ihr etwa angenommen, das würden wir nicht tun?«
»Ich hatte es gehofft!« explodierte sie und schoß wie der Blitz auf das Fenster zu.
Sie verschwendete keine Zeit darauf, mühsam hindurchzuklettern, sondern setzte zu einem Hechtsprung an. Ihr Knie schlug hart auf dem Fensterbrett auf, ihre Schulter auf dem Dach, und ihr Stiefel klemmte irgendwo fest. Sie krümmte sich noch vor Schmerz, als das >Klemmen< anfing, sie zu zurückzuziehen. Auf der Stelle warf sie sich herum, um nach Stefans Hand zu treten — mit dem Erfolg, dass er nun auch den anderen Fuß festhielt.
Voller Entsetzen hörte sie ihn sagen: »Gebt mir Eure Hand, oder ich zieh' Euch an den Beinen herein. Und im Augenblick ist es mir
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