Geheimnis um einen Wohnwagen
durchs Fenster. Die Scheibe war zwar zerbrochen, aber es war zu klein, als daß sie hätte hindurchkriechen können.
„Dietrich!” rief sie. „Ich bin es – Eulalie.”
Statt einer Antwort schlug er wieder mit den Absätzen auf die Erde. Sie leuchtete mit der Taschenlampe durchs Fenster, und da sah sie zu ihrem Schreck, daß er geknebelt und gebunden war. „Hör zu, Dietrich!” sagte sie entschlossen. „Ich werde dir jetzt sagen, was ich tun will. Wenn du einverstanden bist, schlag ein paarmal mit den Füßen. Bist du aber dagegen, so schlag nur einmal.”
Dicki trommelte erleichtert auf den Fußboden und wartete dann auf ihren Vorschlag.
„Ich kann die Tür nicht aufmachen und auch nicht durchs Fenster kriechen”, sagte sie. „Die Leute von der Kolonie möchte ich nicht zu Hilfe rufen, sonst sperren sie mich womöglich auch noch ein. Ich will schnell nach Hause laufen und deine Eltern alarmieren.”
Dicki trommelte heftig mit den Füßen. Er war froh, daß sie nicht zu Herrn Grimm gehen wollte.
„Deine Eltern werden wissen, was zu tun ist”, sagte Eulalie. „Ich werde mich sehr beeilen. Bald bist du erlöst.”
Wieder trommelte Dicki. Wie gut, daß Eulalie ihm gefolgt war! Er hörte, wie sie vom Rad heruntersprang und fortlief. Dann begann er über das Geheimnis nachzudenken. Wo konnten die Fangios den Mann verstecken, dessen Stimme er damals bei dem Streit gehört hatte? Vielleicht hatte der Wohnwagen einen doppelten Boden. Daran hatte er bisher nicht gedacht. Wenn das der Fall war, würde Herr Grimm den Mann morgen finden und das Geheimnis um den Wohnwagen aufklären.
Wie weit mochte Eulalie inzwischen gekommen sein? Wenn sie sich beeilte, mußte sie bald zu Hause sein. Sein Vater würde sicherlich Direktor Jenks anrufen. Aber was würde der Direktor zu der Geschichte sagen?
Eulalie lief auf leisen Sohlen zwischen den Wagen hindurch zum Ausgang des Lagers und schlug dann den Weg nach Peterswalde ein. Es war eine dunkle Nacht. Als sie an eine Wegkreuzung kam, blieb sie zögernd stehen. Ein leichter Nebel stieg vom Fluß auf und verhüllte die Umgebung.
Eulalie überlegte eine Weile, welchen Weg sie nehmen solle, und schlug dann den falschen ein. Sie lief und lief und wartete auf eine zweite Wegkreuzung, aber die wollte und wollte nicht kommen. Endlich blieb sie stehen und sah sich um. Sie wußte überhaupt nicht mehr, wo sie sich befand. Weit und breit war kein Haus zu sehen. In der Nähe rauschte Wasser.
Sollte sie nun weitergehen oder wieder zurück, oder rechts abbiegen? Links von ihr war der Fluß, dort kam sie nicht weiter. Sie bog rechts ab, geriet in eine Wiese mit hohem nassen Gras und kehrte wieder um. Es blieb ihr nichts weiter übrig, als auf dem Weg zu bleiben, der ja irgendwohin führen mußte. Sie knipste ihre Taschenlampe an und beleuchtete ihn, während sie weiterging. Dabei entfernte sie sich immer mehr von Peterswalde. Sie ging und ging, und der Weg schien sich ohne Anfang und ohne Ende durch den Nebel zu winden. Bald war Eulalie den Tränen nahe.
Warum hatte sie sich ausgerechnet jetzt verirrt, da sie so dringend Hilfe holen mußte! Erschrocken bemerkte sie, daß das Licht ihrer Taschenlampe matter wurde. Wenn die Lampe ganz ausging, konnte sie leicht in den Fluß fallen.
Schließlich tauchte ein Bootshaus vor ihr auf. Die Tür war nicht zugeschlossen. Eulalie ging hinein, kroch in ein Boot und legte sich auf eine verrottete Plane. Hier wollte sie warten, bis es Tag wurde. Etwas anderes blieb ihr auch gar nicht übrig.
Schlafen würde sie natürlich nicht – so glaubte sie wenigstens. Aber nach fünf Minuten war sie eingeschlafen. Als sie aufwachte, schien durch das kleine Fenster des Bootshauses schon helles Tageslicht. Anfangs wußte sie überhaupt nicht, wo sie sich befand. Dann fiel es ihr ein, und sie sprang erschrocken auf. Ihre Glieder waren steif. Fröstelnd sah sie nach der Uhr. Es war schon halb acht! Wie konnte sie nur so lange schlafen? Was würde Dicki von ihr denken?
Sie verließ das Bootshaus, schlug einen Weg ein, der vom Fluß fortführte, und erreichte nach kurzer Zeit Peterswalde. In einer Straße, die ihr bekannt vorkam, sah sie ein Mädchen und einen Jungen auf einem Gartentor schaukeln. Beim Näherkommen erkannte sie Betti und Flipp.
Die beiden waren sehr erstaunt, Eulalie am frühen Morgen mit zerdrückten Kleidern und ungekämmten Haaren zu sehen. „Du bist aber früh unterwegs”, sagte Flipp.
„Dicki ist in Not!” sprudelte sie hervor.
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