Geheimnis Um Mitternacht
zwischen ihnen Dreien, die dazu dienen sollte, die gesellschaftlichen Fähigkeiten des Earls zu verbessern. Irene stellte zudem sicher, stets den korrekten Abstand zwischen ihr und Gideon einzuhalten und einen sehr formellen Ton zu benutzen. Sie bemerkte eine gewisse Verwirrung in Francescas Augen und Belustigung bei Lord Radbourne, aber sie bemühte sich, sich von seinem Verhalten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ohne Zweifel wollte er sie zu einem ihrer Wortgefechte reizen. Doch ihr war bewusst, dass ihre Auseinandersetzungen immer zu einem Aufruhr der Gefühle führten und genau die Vertrautheit hervorriefen, die sie mit ihrem höflich distanzierten Verhalten verhindern wollte.
Über die nächsten Tage folgten sie einem losen Plan von Übungen am Vormittag und beendeten ihre Lektionen zum Mittagessen. Am Nachmittag verschwand Gideon in seinem Arbeitszimmer oder zu Pflichten auf dem Besitz, und Francesca und Irene blieben allein und konnten tun, was ihnen gefiel - zumindest manchmal. Francesca verbrachte viel Zeit damit, bei den Planungen für die nächste Woche zu helfen, und als Konsequenz daraus wurde auch Irene häufig in diese Vorbereitungen mit hineingezogen.
Da all die Gespräche über Sitzordnung, Blumendekorationen, Menüs und Musik sie unendlich langweilten - und Gespräche über die Vorzüge verschiedener möglicher Bräute für Gideon ihr fast unerträglich waren -, vermied Irene es häufig, nach dem Essen in den Salon zu gehen. Lieber vergrub sie sich mit einem Buch in der Bibliothek, beschäftigte sich in ihrem Zimmer mit der Stickerei, an der sie den letzten Monat über recht halbherzig gearbeitet hatte, oder schrieb einen Brief an eine Freundin oder ihren Bruder.
Ab und zu hätte sie es vorgezogen, einen langen Spaziergang zu machen, aber nach ihrem Erlebnis am ersten Tag zögerte sie, noch einmal das Risiko einzugehen, Gideon zu begegnen. Doch sie wurde immer rastloser, sodass sie am vierten Nachmittag beschloss, dass ein kleiner Spaziergang durch den Garten keine Gefahr darstellen dürfte.
Schließlich würde Gideon, wenn er in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen war oder unterwegs, um seine Ländereien zu besichtigen, nicht seine Zeit im Garten vertrödeln. Und in wenigen Tagen würden die anderen Gäste ankommen, was vermutlich bedeutete, dass sie kaum mehr die Gelegenheit hätte, allein zu sein.
Sie nahm ihren Hut und schlüpfte aus der Hintertür auf die Terrasse und dann über die Stufen in den oberen Garten. Ohne ein festes Ziel im Kopf folgte sie wahllos den Wegen und betrachtete die Herbstblumen. Sie schritt durch einen mit Efeu bewachsenen Durchgang, doch als sie sich auf der anderen Seite umwandte, um durch ein Loch in der Hecke zu schlüpfen, ließ sie etwas innehalten.
Dort direkt vor ihr hockte ein kleiner Junge, der aufmerksam das langsame Fortkommen einer Schnecke auf dem Weg beobachtete. Bei ihren Schritten wirbelte er mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck herum. Aber als er sie sah, entspannte er sich und stand auf.
„Entschuldige bitte", sagte Irene und lächelte ihn beruhigend an. „Ich wollte dich nicht erschrecken."
„Ich dachte, Sie sind Miss Tyning", meinte er zutraulich. Er war ein hübscher, stämmiger Junge von fünf Jahren mit einem Büschel strohblonder Haare und einigen Sommersprossen auf seiner Stupsnase. Seine Augen waren von demselben hellen Blau wie die von Teresa, was Irenes Vermutung bestätigte, dass dies Teresas Sohn Timothy sein musste, den sie seit ihrer Ankunft seltsamerweise noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
„Sie ist meine Gouvernante", fuhr er erklärend fort. „Und sie wird so böse sein, wenn sie aufwacht und feststellt, dass ich weg bin. Aber es ist viel zu schön, um drinnen zu bleiben."
„Viel zu schön", stimmte Irene ernsthaft zu.
Er sah sie einen Moment an. „Sie sind die Dame, die gekommen ist, um Gideon zu heiraten, oder?"
Irene hob die Augenbrauen. „Ich bin Lady Irene Wyngate. Und ich bin hier, um seiner Lordschaft zu helfen, aber ich habe nicht vor, ihn zu heiraten."
„Das hat Mama auch gesagt. Sie sagt, dass es niemals passieren wird. Aber Lady Pencully sagt, dass doch. Und die Leute machen immer, was Lady Pencully will."
„Tatsächlich?" Irene lächelte. „Das tun sie wohl, jedenfalls meistens. Aber ich glaube, dass sie diesmal nicht ihren Willen bekommen wird."
„Wirklich? Ich hoffe nicht. Ich will nicht, dass Gideon heiratet. Mama sagt, dass es mein Ende sein wird, wenn er es tut."
„Dein Ende?",
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