Geheimnis von St. Andrews
mich angesteckt. Dabei sollte ich als Londonerin eigentlich an so etwas gewöhnt sein.“
„Okay, das verstehe ich, Cherry. Weißt du noch, als ich voriges Jahr in der U-Bahn ausgeraubt wurde? Danach habe ich auch eine Woche echt neben mir gestanden. Dann hoffe ich nur für dich, dass sich die Lage in Pittstown bald wieder beruhigt. Und versprich mir, dass du gut auf dich aufpasst, ja?“
„Das verspreche ich dir. Ich fand es total lieb, dass du angerufen hast, Rhonda. Wir sprechen uns bald wieder, darauf kannst du dich verlassen. Mach’s gut“, verabschiedete sie sich.
Nach dem Telefonat mit ihrer besten Freundin stand Cherry noch einige Minuten lang wie versteinert da, während sie auf das Handy starrte. Erinnerungen kamen in ihr hoch. Sie hatte ihre früheren Erlebnisse nur verdrängt. Nun wurde ihr erst wieder bewusst, wie sehr sie gedemütigt worden war. Es fiel ihr schwer, nach den schlechten Erfahrungen mit Tony Sanders einem Typen zu vertrauen. Doch genau das musste sie früher oder später tun. Sonst konnte sie nämlich den Rest ihres Lebens in einem Kloster verbringen.
Cherry zog sich aus und ging unter die Dusche. Bisher hatte sie eigentlich immer bessere Laune bekommen, wenn sie sich ausgiebig mit heißem Wasser und einem duftenden Duschgel reinigte. Und auch diesmal funktionierte der Trick. Es kam Cherry so vor, als würde sie mit dem Schmutz und dem Schweiß auch ihre trüben Gedanken abspülen. Als sie wenig später aus der Dusche kam und frische Wäsche anzog, war auf der Straße auch von Jenny nichts mehr zu sehen. Selbst Marks Ex war anscheinend nicht verrückt genug, um sich stundenlang die Beine in den Bauch zu stehen.
Cherry zog ein knielanges Etuikleid im Retro-Look an, das sie auf dem legendären Londoner Flohmarkt an der Pettycoat Lane ergattert hatte. Es sah ziemlich cool aus und würde in einer kleinen Stadt wie Pittstown gewiss Aufsehen erregen. Außerdem legte sie Make-up auf, wobei sie ihre großen ausdrucksvollen Augen mit einem Kajalstift zusätzlich betonte. Cherry fand, dass sie sich sehen lassen konnte.
Sie wollte Mark zwar nicht verführen, aber sie hatte auch keine Lust, als graue Maus aufzutreten. Cherry stylte sich gern, wenn ihr danach war. Als sie noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel warf, klingelte es unten an der Haustür. Das musste Mark sein. Er war auf die Minute pünktlich.
Cherry griff nach ihrer Handtasche und eilte die Treppe hinunter. Sie hörte, wie Mark mit Thelma Miller ein paar höfliche Worte wechselte.
„Dann grüße deine Mom von mir, Junge“, sagte die Pensionswirtin und zog sich in die Küche zurück. Doch als Mark ihr den Rücken zudrehte, zeigte sie Cherry ihren nach oben gerichteten Daumen und kniff ein Auge zu. Cherry lächelte. Die Wahl ihres Begleiters schien Thelma Millers Zustimmung zu finden.
„Du siehst einfach fantastisch aus, Cherry“, sagte Mark, nachdem sie die Pensionstür von außen geschlossen hatten und auf die Straße getreten waren.
„Lass das nicht deine Ex hören, sonst kratzt sie mir noch die Augen aus“, erwiderte sie.
Eigentlich hatte Cherry nicht vorgehabt, Mark von ihrer Begegnung mit Jenny zu erzählen. Deshalb ärgerte sie sich über sich, weil ihr diese Bemerkung herausgerutscht war. Doch andererseits liebte Cherry klare Verhältnisse, obwohl ihre direkte Art auf manche Leute verletzend wirkte. Aber sie hatte keine Lust, sich zu verbiegen – vor allem nicht bei jemandem, der ihr etwas bedeutete.
„Meine Ex? Wie meinst du das?“, fragte er verständnislos.
Cherry berichtete kurz davon, was geschehen war. Mark schien sauer zu sein. Missmutig schob er seine Hände in die Hosentaschen.
„Was ist nur in Jenny gefahren, dass sie sich so blöd benimmt? Ich dachte, allmählich wäre sie über unsere Trennung hinweggekommen. Am liebsten würde ich direkt zu ihr gehen und ihr die Meinung sagen.“
„Nein, Mark, lass das lieber bleiben. Ich hätte mit dir gar nicht darüber reden sollen.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin froh, dass du es getan hast, Cherry. Ich habe Jenny keine neuen Hoffnungen mehr gemacht, das musst du mir glauben. Meine Ex und ich passen einfach nicht zusammen. Offensichtlich kann sie sich mit den Tatsachen nicht abfinden. Aber dass sie dir jetzt auch noch droht, geht zu weit. Sie muss doch auch hinter uns herspioniert haben. Woher weiß sie sonst, dass wir zusammenarbeiten und wo du wohnst?“
„Ja, das stimmt. Ob sie vielleicht mit der Ermordung der jungen Frau zu
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