Geheimnis von St. Andrews
sein! Es geht dich zwar nichts an, aber Mark und ich arbeiten nur zusammen. Ich mache ein Praktikum bei dem Restaurator Harris Blackburn. Bist du nun zufrieden?“
„Nein, bin ich nicht!“, blaffte Jenny. Ihre Finger waren immer noch fest in Cherrys Ärmel gekrallt. „Mark hat dir also schon von mir erzählt? Und trotzdem bist du so unverschämt, uns auseinanderbringen zu wollen?“
Genervt verdrehte Cherry die Augen. Wenn sie etwas auf die Palme brachte, dann waren es hysterische Frauen. Vor dieser Jenny fürchtete sie sich jedenfalls nicht. Mit ihren Karatefähigkeiten würde sich Cherry notfalls gegen diese Zicke verteidigen können. Sie konzentrierte sich und befreite sich aus Jennys Klammergriff.
In London gab es rabiate Mädchen-Gangs, und mit einer von ihnen hatte Cherry schon einmal Ärger gehabt. Damals war sie nur mühsam mit heiler Haut davongekommen. Im Vergleich dazu erschien ihr diese Exfreundin nun wirklich nicht besonders gefährlich. Andererseits machte sie einen unberechenbaren Eindruck. Cherry trat selbstbewusst auf, blieb aber auf der Hut.
„Noch einmal zum Mitschreiben, Jenny: Mark und ich sind nur Kollegen. Ich bin schließlich erst heute in Pittstown angekommen. Aber selbst wenn es nicht so wäre – was geht dich das an? Mark sagte mir, ihr wärt nicht mehr zusammen.“
„Das stimmt nicht!“ Als Jenny diesen Schrei ausstieß, tat sie Cherry beinahe leid. „Das erfindest du nur, du falsche Schlange. Mark liebt mich immer noch, das spüre ich ganz deutlich. Und ich rate dir, dich von ihm fernzuhalten. Sonst wirst du es bitter bereuen“, rief sie.
„Willst du mir drohen? Das kannst du vergessen. Ich lasse mich nicht einschüchtern, und von dir schon gar nicht. Was zwischen Mark und dir gewesen ist, interessiert mich nicht. Aber ich gehe heute Abend mit deinem Exfreund aus, damit du es nur weißt!“
Vielleicht hätte Cherry sich diese Provokation schenken sollen. Aber sie war nun ebenfalls ziemlich wütend. Sie wollte sich jedenfalls nicht einfach alles gefallen lassen, sonst würde diese Jenny niemals Ruhe geben.
Jenny antwortete auf Cherrys Worte mit einem schrillen, empörten Kreischen und wollte sich schon auf sie stürzen, aber diesmal kam der Angriff nicht unerwartet. Cherry machte rasch einen großen Satz nach hinten. Im nächsten Moment schnellte ihr linker Fuß nach vorne. Der Karatetritt traf Jenny an der Hüfte. Sie taumelte rückwärts und knallte mit dem Rücken gegen die Häuserwand.
Wenn Blicke töten könnten, wäre für Cherry jetzt jede Hilfe zu spät gekommen. Sie stellte sich schon auf eine neue Attacke durch ihre Widersacherin ein. Doch Jenny gab auf und rannte davon. Nach einigen Schritten drehte sie den Kopf und rief Cherry über die Schulter hinweg zu: „Das wird dir noch leidtun, du Biest!“
Jennys Stimme hatte einen Unterton, der lauernd und eiskalt war. Marks Ex hatte in der Vergangenheit bereits einmal Gewalt gegen eine andere Frau angewandt. Bei ihr musste man mit allem rechnen. Offenbar hatte die Therapie nicht viel gebracht.
Cherry schüttelte sich, als ob sie einen bösen Traum abstreifen wollte. Ihr wurde bewusst, dass sie in Gefahr schwebte. Zwar hatte Jenny ihr nicht wirklich etwas getan, aber immerhin eine Drohung ausgestoßen.
Cherry fasste den Vorsatz, sich nicht von Jenny terrorisieren zu lassen. Eigentlich sollte sie mit dieser Verrückten Mitleid empfinden. Sie musste Mark wirklich sehr lieben, wenn sie sich seinetwegen so idiotisch aufführte. Aber hatte das überhaupt noch etwas mit Liebe zu tun? War Jennys Benehmen nicht eher krankhaft?
Cherry wusste es nicht, schließlich war sie keine Nervenärztin. Aber sie wollte sich durch den Zwischenfall nicht den Abend vermiesen lassen. Dann hätte Jenny nämlich ihr Ziel erreicht.
Zum Glück brachte die freundliche Begrüßung durch ihre alte Pensionswirtin sie sofort wieder auf andere Gedanken. Offenbar war Thelma Miller zu einem Schwatz aufgelegt, aber Cherry blockte ab.
„Es tut mir leid, aber ich habe noch eine Verabredung. Und wie ich jetzt aussehe, will ich keinem Mann unter die Augen treten“, entschuldigte sie sich.
„Ich verstehe schon.“ Verschwörerisch zwinkerte die Wirtin ihr zu. „Dann lass dich nicht von mir aufhalten, wir können ja auch morgen beim Frühstück noch miteinander plaudern. Das heißt, falls du die Nacht in deinem Zimmer verbringst!“
Cherry blieb die Luft weg. Was sollte diese Anspielung denn bedeuten? Hielt Thelma Miller sie für eine Bitch, die
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