Geheimnis von St. Andrews
man auf alles gefasst sein.
„Ich hoffe nur, dass dieser Fall bald aufgeklärt wird. Bisher fand ich das Leben in Pittstown oftmals öde und langweilig. Doch allmählich fehlt mir die Ruhe“, meinte Thelma Miller.
Cherry nickte, obwohl sie mit ihren Gedanken schon ganz woanders war. Nach dem Essen ging sie schnell auf ihr Zimmer und schaltete ihr Notebook ein. Dann durchstöberte sie das Internet mit dem Suchbegriff Amber Page. Es gab mehrere Frauen, die so hießen. Doch gleich der erste Suchmaschinenlisteneintrag war ein Volltreffer.
Cherry klickte auf Ambers Homepage bei dem sozialen Netzwerk „Albiona“.
Sie war dort ebenfalls registriert. Cherry fühlte sich schlecht, als sie das Porträtfoto der Toten ganz oben links auf der Homepage erblickte. Amber Page hatte eine ellenlange Freundesliste gehabt, aber sie – Cherry – würde niemals Ambers Freundin werden können, nicht in diesem Leben. Offenbar war Amber ein großer Fan der „Wild Beasts“, gewesen, jedenfalls handelten viele Blog-Einträge von dieser Band, und es gab auch einen Link auf die Homepage der „Wild Beasts“.
Doch das interessierte Cherry jetzt überhaupt nicht. Sie scrollte bis zum Ende von Ambers „Albiona“-Auftritt. Dort befand sich ein Foto, von dem Cherry ihren Blick nicht abwenden konnte. Amber musste es kurz vor ihrem Tod selbst gemacht und dann an ihre Homepage gepostet haben.
Die Aufnahme zeigte die verkniffen lächelnde Amber. Doch wichtiger als die Ermordete war für Cherry der Bildhintergrund. Amber hatte sich nämlich vor dem Altar von St. Andrews abgelichtet. Das war eindeutig zu erkennen. Und außerdem – ein Stück weit hinter Amber konnte man halb im Schatten eine bedrohliche Gestalt sehen. Offenbar hatte Amber nicht gewusst, dass der Unheimliche hinter ihr stand. Cherry kniff die Augen zusammen. Leider war es nicht möglich, die Gesichtszüge der zweiten Person zu erkennen. Aber vielleicht konnte die Polizei mit spezieller Fotobearbeitung mehr aus dem Schnappschuss herausholen. Ob Inspektor Abercrombie überhaupt schon etwas von diesem Bild wusste?
Cherry bezweifelte es. Sie fischte die Visitenkarte des Kriminalbeamten aus ihrer Tasche und rief ihn sofort an. Doch bei Inspektor Abercrombies Festnetzanschluss lief nur die Mailbox, und sein Mobiltelefon war abgeschaltet. Vielleicht hatte er ja gerade einen Einsatz. Jedenfalls sprach Cherry ihm die wichtigsten Infos auf das Band und bat um Rückruf.
Danach lief sie ruhelos in ihrem Zimmer umher. Das Gefühl, etwas Wichtiges herausgefunden zu haben, ließ sie nicht los. Cherry war viel zu aufgeregt, um jetzt Schlaf finden zu können. Sie wollte Mark anrufen, bis ihr einfiel, dass er bei der Feuerwehrübung war. Sie zog ihre Jacke über und eilte die Treppe hinunter.
„Ich gehe noch mal an die frische Luft. Bis später!“, rief Cherry ihrer Wirtin zu, die in der Küche aufräumte. Sie wartete keine Antwort ab, sondern verließ das Haus. Die Sommernacht war schön, aber nicht so warm, dass man sich im T-Shirt draußen hätte aufhalten können. Von der Küste, in deren Nähe Pittstown lag, wehte ein frischer Wind. Ziellos streifte Cherry durch die Straßen. Es wunderte sie nicht, dass sie wenig später vor der Friedhofsmauer stand. Unbewusst hatte sie den Weg nach St. Andrews eingeschlagen. Nach ihrer Entdeckung des Bildes auf Ambers Homepage konnte Cherry das Rätsel nicht einfach beiseiteschieben. Natürlich wäre es vernünftiger gewesen, die Ermittlungen der Polizei zu überlassen.
Aber Cherry wurde von ihrer unstillbaren Neugier getrieben. Es war ja auch immer noch nicht geklärt, wer den Balken von der Chorempore auf sie hinabgeworfen hatte. Sie glaubte nicht daran, dass es irgendwelche verantwortungslosen und gelangweilten Jugendlichen gewesen waren. Seit sie in Pittstown angekommen war, hatte sie niemals irgendwelche Kids in der Nähe der Kirche herumlungern sehen.
Blackburn schied zumindest für den Anschlag auf sie als Täter aus. Aber wer war es dann gewesen? Cherry hatte das Gefühl, einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein.
Und dann bemerkte sie plötzlich die Gestalt.
Ihr Adrenalinspiegel schoss in die Höhe. Sie konnte sich gerade noch hinter der niedrigen Friedhofsmauer verstecken, um nicht gesehen zu werden. Doch der Unbekannte nahm von Cherry keine Notiz. Soweit sie es bei den schlechten Lichtverhältnissen erkennen konnte, wandte er ihr nämlich den Rücken zu und schlich über den Gottesacker auf das Pfarrhaus zu.
Cherry griff
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