Geheimnis von St. Andrews
einen Führerschein? Irgendwie konnte Cherry noch immer nicht glauben, dass Jenny die Täterin sein sollte, obwohl sie ihr völlig unsympathisch war. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass jemand aus purer Eifersucht so ausrasten konnte.
Auf jeden Fall hatten Blackburn und Lonnegan bombensichere Alibis. Ein Bierabend mit dem Bürgermeister und den Stadträten – eine bessere Entlastung gab es für die beiden sicher nicht.
Sergeant Murdoch entschuldigte sich für die Störung. Wenig später saßen alle wieder im Streifenwagen.
„Jenny Read wohnt doch noch bei ihrer Mutter, nicht wahr?“, fragte der Sergeant Mark.
„Ja, soweit ich weiß. Ich bin schon seit längerer Zeit nicht mehr mit ihr zusammen. Aber das will sie einfach nicht begreifen.“
„Dann sollten wir doch mal schauen, ob sie daheim ist.“
Die Polizisten fuhren zu einem schmalen Reihenhaus am Rand von Pittstown. Dort brannte noch Licht. Sergeant Murdoch klopfte mit der Faust an die Tür. Wenig später wurde von einer Frau geöffnet, die ungefähr so alt war wie Cherrys Mom. Es musste Jennys Mutter sein. Jedenfalls glaubte Cherry, eine Familienähnlichkeit zwischen der Frau und Marks Ex zu sehen.
„Polizei? Ist etwas mit Jenny passiert? Hallo, Mark. Schön, dich zu sehen.“
Mark murmelte ein paar Worte und blickte zur Seite. War es ihm unangenehm, Jennys Mutter gegenüberzutreten? Bevor Cherry darüber nachdenken konnte, ergriff der Sergeant das Wort.
„Wir wollen nur mit Jenny reden, Mrs Read. Ist sie zu Hause?“
„Nein, und ich weiß auch nicht, wo sie sich herumtreibt. Jenny kommt und geht, wie sie will. Leider hat sie ihren Job im Supermarkt verloren, weil sie so oft unentschuldigt gefehlt hat. Ich weiß wirklich nicht, was mit meiner Tochter los ist. Sie ist so launisch und unausgeglichen, das geht nun schon seit Wochen so. Mark, ich verstehe das überhaupt nicht. Du hattest doch früher immer so einen guten Einfluss auf Jenny.“
„Wir haben uns getrennt, Mrs Read. Aber Jenny will das nicht einsehen.“
„Getrennt?“ Mrs Read schüttelte den Kopf. „Das schaffst du doch gar nicht, Mark. Ich weiß, dass du Jenny liebst. Du hast doch schon einmal versucht, von ihr loszukommen.“
Jennys Mutter redete auf Mark ein, der einfach nur schwieg. Cherry spürte, wie ihre Laune auf den Nullpunkt sank. War doch noch mehr zwischen Mark und seiner Ex, als er ihr gestanden hatte? Mark wäre schließlich nicht der erste Typ, auf dessen glatte Fassade sie hereinfiel. Doch dann führte sie sich vor Augen, dass der Tipp mit der Haarspange schließlich von Mark stammte. Wenn er das Beweisstück nicht entdeckt hätte, wäre Cherrys Verdacht nie auf Jenny gefallen. Allerdings war es ihr immer noch schleierhaft, warum Marks Ex sie in das Holzlager eingesperrt hatte.
Zum Glück ließ sich Sergeant Murdoch nicht beirren. „Sprechen Sie jetzt bitte nicht mit Mark, sondern mit mir, Mrs Read. Ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie wissen, wo sich Ihre Tochter aufhält.“
„Nein, das weiß ich nicht. Was ist denn überhaupt los? Steckt Jenny in Schwierigkeiten?“ Mrs Read wirkte besorgt.
„Dürfen wir einen Blick in Jennys Zimmer werfen?“, fragte der Sergeant zurück.
„Also gut, meinetwegen. Wir haben nichts zu verbergen!“
Cherry lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sie hinter den breiten Uniformrücken der Polizisten die steile Treppe ins erste Stockwerk hinaufstieg. Gleich würde sie das Zimmer ihrer Widersacherin zu sehen bekommen.
Es übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Die Wände des schmalen Raums waren über und über mit düsteren Zeichnungen und Fotocollagen bedeckt. Wenn das Zimmer Jennys Seele widerspiegelte, dann sah es darin wirklich finster aus. Der Raum flößte Cherry Angst ein, obwohl sie sich nicht für einen Feigling hielt.
Sergeant Murdoch atmete tief durch. „Ihre Tochter soll sich umgehend bei der Polizei melden, Mrs Read. Wir benötigen ihre Aussage und wollen sie befragen. Wenn Jenny sich bis morgen Vormittag nicht gemeldet hat, lasse ich sie vorladen. Guten Abend.“
„Ich wette, dass Jennys Mutter sie irgendwo versteckt hält“, meinte Cherry, nachdem sie wieder in den Streifenwagen gestiegen waren.
„Das glaube ich nicht“, widersprach Mark. „Mrs Read schien wirklich keine Ahnung zu haben, was ihre Tochter momentan treibt.“
„Du musst es ja wissen, schließlich war Mrs Read eine Art Schwiegermutter für dich – oder ist sie das immer noch?“, fragte Cherry spitz,
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