Geheimnis von St. Andrews
sie erst einmal verdauen. War Mark jemand, der ihr die Wahrheit nur scheibchenweise auftischte? Das hoffte sie nicht, aber momentan sah es ganz danach aus.
„Und warum hast du mir das nicht erzählt?“, fragte sie vorwurfsvoll.
„Was hätte das denn gebracht? Das alles ist lange her. Es ist geschehen, bevor du nach Pittstown gekommen bist. Aktuell bin ich nicht mehr mit Jenny zusammen, und das ist die Wahrheit.“
Das wollte Cherry gerne glauben. Aber als sie das letzte Mal spontan auf ihr Herz gehört hatte, war sie fürchterlich auf die Nase gefallen. Wie gerne hätte sie sich jetzt mit ihrer besten Freundin beraten. Aber Rhonda war nicht da, und sie musste die Situation ganz allein in den Griff kriegen. Deshalb sprach Cherry nun das aus, was sie dachte.
„Wirklich, Mark? Und was für eine Garantie gibt es, dass du nicht noch einmal einen Rückzieher machst und wieder in Jennys Armen landest?“
„Die Garantie bist du selbst, Cherry. Seit ich dich kennengelernt habe, ist alles anders.“
Cherry hielt die Luft an, denn während Mark diese Sätze aussprach, nahm er ihre Hand und streichelte sie sanft. Wohlige Schauer rannen über ihren Rücken. Ihr Herz hatte sich für Mark entschieden, doch ihr Verstand riet ihr zur Vorsicht.
Doch gab es wirklich einen durchschlagenden Beweis, der gegen Mark sprach? Er hätte das Beweisstück – die Haarspange – leicht verschwinden lassen können. Nur ihm war es zu verdanken, dass die Polizei momentan überhaupt nach Jenny suchte. Cherry hatte einfach Angst davor, sich wieder Hals über Kopf zu verlieben. Und sie war in diesem Moment dabei, genau das zu tun.
„Warum ist alles anders, seit wir uns getroffen haben?“, fragte sie mit belegter Stimme, wobei sie Mark nicht in die Augen sehen konnte.
„Du weißt, warum, Cherry.“ Mark flüsterte diese Worte, während er sie sanft an sich zog. Cherry wollte sich nicht von ihren eigenen Ängsten diesen magischen Moment verderben lassen. Und das nicht nur, weil sie noch niemals zuvor auf dem Rücksitz eines Polizeiautos geküsst worden war. Ihre Lippen berührten sich, aber es war nicht so, wie Cherry es sich vorgestellt hatte.
Sondern noch viel besser.
Cherry verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Vielleicht hing das auch mit diesem Ort zusammen, denn der Streifenwagen parkte unmittelbar hinter der Friedhofsmauer. Hier lag eine Atmosphäre von Ewigkeit in der Luft. Sie lösten sich erst wieder voneinander, als die beiden Polizisten aus der Kirche kamen. Den Gesichtern von Sergeant Murdoch und Officer Hickey war anzusehen, dass die Suche erfolglos gewesen war.
„Ich schreibe Jenny Read zur Fahndung aus“, erklärte der Sergeant. „Freiheitsberaubung ist schließlich kein Kavaliersdelikt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die junge Frau finden.“
„Wir geben ihre Beschreibung auch an die Kollegen aus den Nachbardistrikten durch“, ergänzte Officer Hickey. „Dann wird jede Streifenwagenbesatzung im Umkreis von achtzig Meilen nach der Verdächtigen Ausschau halten. Wenn sie kein Geld bei sich hat, wird sie nicht weit kommen.“
Cherry wurde von den Beamten zu Thelma Millers Pension gefahren, danach wollten sie Mark bei seinem Elternhaus absetzen. In Gegenwart der Polizisten hielt sich Cherry mit Berührungen zurück. Als sie aber ausstieg, strich sie Mark kurz und zärtlich über die Wange.
„Wir sehen uns dann morgen auf der Baustelle. Gute Nacht allerseits!“, verabschiedete sie sich.
Cherry befand sich in einer absoluten Hochstimmung. Gewiss, der Suffolk-Killer war noch nicht hinter Schloss und Riegel, und auch Jenny lief weiterhin frei herum. Der Angriff auf Father Nolan war nach wie vor ungeklärt, und Blackburns undurchschaubare Aktivitäten in der Krypta gaben weiterhin Rätsel auf.
Aber all das verblasste angesichts des Glücks, das Cherry soeben gemeinsam mit Mark empfunden hatte. Sie war unglaublich erleichtert darüber, dass er ihre Gefühle offenbar erwiderte. Warum sollte sie immer nur Pech mit Typen haben?
Nachdem Cherry sich geduscht und nachtfertig gemacht hatte, konnte sie zunächst nicht einschlafen. Sobald sie die Augen schloss, glaubte sie, Marks Nähe zu fühlen und seine Berührungen auf ihrer Haut zu spüren. Sie seufzte wohlig und drehte sich hin und her. Irgendwann siegte dann doch die Erschöpfung, und sie schlummerte ein.
Ihr Traum war etwas diffus, aber nicht beängstigend. Cherry irrte durch eine Krypta, wo sie ständig hinter einem hellen Licht herjagte. Doch es
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