Geheimnis von St. Andrews
mit nichtssagenden Phrasen abgespeist. Wahrscheinlich war es dem Kriminalisten wirklich nicht gestattet, sich von ihr in die Karten schauen zu lassen. Cherry hätte auch gerne gewusst, wen der Inspektor während der Nacht observiert hatte. Aber diese Frage stellte sie gar nicht erst. Darauf würde sie gewiss auch keine zufriedenstellende Antwort erhalten.
Abercrombie schien zu spüren, was in ihr vorging. Aufmunternd lächelte er sie an.
„Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Ich habe gerade von dem Pfefferspray-Angriff auf Sie gehört und kann mir vorstellen, dass Sie sehr durcheinander sind. Aber ich versichere Ihnen, dass mit allen Einsatzkräften nach Jenny Read gefahndet wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir sie erwischen. Zu ihrer Mutter kann sie nicht zurück, denn dann schnappt die Falle zu. Und wenn sie Pittstown verlassen will, wird ihr das auch nichts nützen. Ihr Foto und ihre Beschreibung sind an alle umliegenden Polizeidistrikte gegangen.“
„Ich hoffe wirklich, dass Sie Jenny bald verhaften können. Gibt es eigentlich Neuigkeiten von Father Nolan?“
„Leider nein. Die Ärzte sagen, dass sein Zustand stabil ist. Inzwischen ist er aus der Bewusstlosigkeit aufgewacht, aber vernehmungsfähig ist der Geistliche deshalb noch lange nicht. Er darf auch keinen Besuch empfangen. Außerdem bezweifle ich, dass er uns eine Täterbeschreibung liefern kann. Er wurde ja von hinten niedergeschlagen, wie Sie vielleicht wissen.“
„Richten Sie Father Nolan bitte Grüße aus, wenn Sie ihn sehen. Ich werde ihn besuchen, sobald es erlaubt ist.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich Cherry. Als sie die Polizeistation verließ, war sie ziemlich ratlos. Gab es überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem Mord, dem Anschlag auf sie, der Attacke auf den Pfarrer und diesem ominösen Gruftgold? Existierte das geheime Vermögen überhaupt?
Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Verdacht. Wenn Mark und Jenny nun gemeinsam hinter diesem mysteriösen Schatz her waren? Sicher, Mark hatte Jenny durch den Hinweis auf die Haarspange belastet. Aber wenn das nur eine Art Flucht nach vorne gewesen war? Wenn Mark seine Komplizin ans Messer liefern wollte, um allein mit dem Vermögen zu entkommen?
Cherry war wütend auf sich, weil sie immer hysterischer wurde. Hatte sie denn überhaupt kein Vertrauen mehr in ihre eigenen Gefühle? Als sie und Mark sich in der Nacht geküsst hatten, war alles schön und wunderbar zwischen ihnen gewesen. Wie kam sie überhaupt darauf, dass Mark einen derart miesen Charakter hatte? War das wirklich bei jemandem möglich, der in Afrika armen Menschen half?
Cherry wollte das nicht glauben. Sie musste sich dringend mit Mark beraten. Vielleicht wusste er ja einen Ausweg aus diesem ganzen Dilemma. Cherry war jedenfalls mit ihrem Latein am Ende. Es kam ihr so vor, als würde sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.
Doch als sie St. Andrews betrat, war nur Blackburn anwesend. Er höhnte: „Wie schön, dass Sie sich auch schon hierher bequemen, Miss Wynn! Ich hoffe, dass Ihr heiliger Studentinnenschlaf nun beendet ist. Aber falls Sie für das Praktikum zu faul sind, können Sie gerne abreisen.“
Cherry hatte sich längst an die ruppige Art ihres Chefs gewöhnt und berichtete kurz von dem Überfall und ihrem Besuch auf der Polizeiwache. Da ihre Augen immer noch leicht gerötet waren, schien der Restaurator ihr sogar zu glauben. Allerdings kam er nicht auf die Idee, sich zu entschuldigen.
„Soso. Das ist ja alles sehr bedauerlich. Aber nun machen Sie bitte mit dem Beichtstuhl weiter, Miss Wynn. Vielleicht gibt uns ja auch irgendwann Mr Gilmore die Ehre. Momentan arbeitet außer mir nur Sam Lonnegan. Ich habe ihn zum Baumarkt geschickt, um neues Material für die Verschalungen zu besorgen.“
Cherrys Magen krampfte sich zusammen. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen.
„Mark Gilmore ist nicht zur Arbeit erschienen, Sir?“
„Messerscharf erkannt, Miss Wynn. Noch dazu hat der junge Mann es nicht für nötig gehalten, sich zu entschuldigen. Jeder kann mal krank werden. Aber sich nicht abzumelden – das ist nun wirklich kein gutes Benehmen. Ich hoffe, dass wenigstens Sie sich bald Ihren Aufgaben widmen.“
Cherry hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Langsam ging sie zum Beichtstuhl und begann, ihn weiter abzuschmirgeln, während ihr die wildesten Spekulationen und Befürchtungen durch den Kopf schossen. Hatte sich Mark am Ende
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