Geheimnis von St. Andrews
helfen, aber sie schätzte ihre Kräfte realistisch ein. Schließlich war sie nicht größenwahnsinnig. Auf ihre Karatekenntnisse konnte sie zwar vertrauen, aber gegen Lonnegan hatte sie vermutlich keine Chance. Wenn er wirklich schon jemanden umgebracht hatte, dann konnte sie von ihm gewiss keine Gnade und keine Rücksichtnahme erwarten.
„Wir könnten Mark mit Geld zum Schweigen bringen“, schlug Blackburn vor. „Wir geben ihm einfach einen kleinen Teil des Gruftgoldes.“
„Bist du jetzt völlig durchgedreht? Wir haben das Zeug doch noch gar nicht, schon vergessen? Wir müssen es erst finden. Ich hoffe wirklich, dass es heute Nacht endlich klappt. Dieses verfluchte Steinlabyrinth scheint immer größer zu werden, je weiter wir vordringen.“
„Das täuscht, Sam. Ich habe dir doch schon mal erklärt, dass solche Kirchen wie St. Andrews in früheren Zeiten eine letzte Zuflucht für die Dorfbewohner bei Überfällen waren. Wir sind hier in Küstennähe. Wenn Piraten kamen, haben sich die Leute in der Kirche verschanzt. In diesen geheimen Gemächern wurden teilweise auch Lebensmittelvorräte gehortet, um eine Belagerung durchzustehen.“
„Sehr interessant, Herr Professor. Aber ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Lass uns jetzt weitersuchen. Um Mark kümmere ich mich später. Er kann uns in seinem Kerker ja sowieso nicht entkommen. Wenn du nicht mitkriegen willst, wie ich ihm das Lebenslicht ausblase, kannst du ja verschwinden.“
„Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, murrte Blackburn. Aber es klang nicht so, als ob er sich letztlich würde durchsetzen können. Dass Blackburn Marks Tod verhindern wollte, machte ihn Cherry zum ersten Mal sympathisch. Doch Lonnegan war ihm körperlich haushoch überlegen.
Sie hörte, wie sich die Schritte der beiden Männer von ihr entfernten. Offenbar suchten sie in einer anderen Richtung nach dem Gruftgold. Marks Leben stand auf dem Spiel, und sie brauchte dringend Hilfe.
Cherry holte die Mobilfunknummer von Inspektor Abercrombie aus dem Telefonbuchspeicher ihres Handys. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Hoffentlich funktionierte ihr Handy hier unten, und der Polizeibeamte hatte sein Gerät nicht ausgeschaltet.
Das Freizeichen ertönte. Cherrys Herz krampfte sich zusammen. Dann hörte sie endlich die tiefe Stimme des Inspektors. „Abercrombie.“
„Hier ist Cherry Wynn, Sir.“
„Können Sie bitte etwas lauter sprechen, Miss Wynn? Sie sind kaum zu verstehen.“
„Das geht nicht. Ich bin in einem unterirdischen Gang, der von der Krypta in St. Andrews angeblich zur Steilküste führen soll. Blackburn und Lonnegan haben Mark gefangen und wollen ihn töten. Und Lonnegan heißt in Wirklichkeit ganz anders.“
„Er heißt Jake Porter, Miss Wynn. Meine Kollegen und ich befinden uns in unmittelbarer Nähe von Ihnen. Am besten, Sie verstecken sich irgendwo, bis wir die beiden Verbrecher festgenommen haben.“
Cherry blinzelte ungläubig. Der Inspektor schien genau zu wissen, dass mit Lonnegan etwas nicht stimmte. Ob er die Kriminellen schon länger observierte? Plötzlich wurde die Verbindung unterbrochen. Cherry versuchte abermals, Abercrombie anzurufen. Aber auf ihrem Handy-Display erschien nur die Anzeige KEIN NETZ.
Verflixt! Cherry drückte noch einige Male auf Wahlwiederholung, dann gab sie auf. Wahrscheinlich war es großes Glück gewesen, dass sie den Inspektor überhaupt von diesem Gemäuer aus erreicht hatte. Schließlich befand sie sich einige Meter unter der Erdoberfläche und war von dicken alten Mauern umgeben.
Es war ein gutes Gefühl, die Polizei in der Nähe zu wissen. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, bis Cherry Hilfe bekam. Dadurch bekam sie neuen Auftrieb. Sie würde sich ganz gewiss nicht in einer Ecke verkriechen, während Mark in höchster Lebensgefahr schwebte. Nein, sie musste ihn suchen. Vielleicht konnte sie ihn sogar befreien, bevor Inspektor Abercrombie und seine Kollegen anrückten. Blackburn und Lonnegan waren ja damit beschäftigt, nach dem Gruftgold zu suchen. Das hatten sie jedenfalls gesagt.
Vorsichtig setzte Cherry einen Schritt vor den anderen, bis sie die Tür erreichte, die sie vor Kurzem ertastet hatte. Nun glitt der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe, die sie eingeschaltet hatte, über das uralte Holz. Cherry konnte erkennen, dass die Tür mit einem primitiven Eisenriegel verschlossen war, den sie zurückschob. Dann spannte sie ihre Muskeln an. Sie musste ihre ganze Kraft aufwenden, um die Tür
Weitere Kostenlose Bücher